Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
PROLOG
A uf dem Boden der Krypta, deren Gewölbe von massiven Marmorsäulen getragen wurde, befand sich ein Pentagramm. In seinem Zentrum war eine wannenartige Mulde in den nackten, kalten Stein eingelassen. Die Linien des Fünfsterns bildeten ein komplexes, aber harmonisches Muster, flankiert von geheimnisvollen Runen, die kaum ein Hexenmeister zu entschlüsseln vermochte, geschweige denn auszusprechen gewagt hätte. Der Drudenfuß strömte eine unheilvolle Macht aus, die schwer im Raum hing. Die Flammen der flackernden schwarzen Kerzen hatten dieselbe Farbe wie das dampfende Blut, das in der Mulde waberte.
Eine alte Frau näherte sich dem Pentagramm. Ihr langes, einst blondes Haar war grau und dünn geworden. Sie streifte den Umhang ab, der sie bedeckt hatte. Nackt stand sie da und gab ihre bleiche Haut, das schlaffe Fleisch, ihren ganzen verwelkten Körper dem Schein der Kerzen preis. Dann stieg sie in die Mulde und überließ sich der zähflüssigen Hitze des Blutes.
Mit geschlossenen Lidern, den Kopf zurückgelehnt und die Arme auf dem steinernen Rand ruhend, genoss sie einen wonnevollen Moment der Entspannung. Sie stieß einen wohligen Seufzer aus und ließ sich immer tiefer in das Becken gleiten, bis sie gänzlich darin verschwunden war.
Es dauerte einige Sekunden, bis der Fünfstern reagierte. Doch plötzlich schlugen die scharlachroten Flammen der Kerzen höher, und die Runen und Linien im Stein begannen zu glühen wie Kohle. Die Oberfläche des Blutbads zischte und brodelte. Die schwarzen Kerzen verzehrten sich und schmolzen dahin, gleichzeitig
leuchtete das Pentagramm immer heller, ohne dass sich das Licht, das von ihm ausging, im Raum verteilt hätte. Es schlug senkrecht empor, klar und zinnoberrot, und zerschnitt die Finsternis entlang der Umrisse des magischen Symbols.
Plötzlich gab es eine Explosion, gleißend und geräuschlos, und alles war zu Ende.
Als man in der Krypta wieder etwas erkennen konnte, war das Pentagramm in steinerner Kälte erstarrt. In der Mulde glänzte eine glatte Oberfläche, und die Kerzen, zu Stumpen heruntergebrannt, zuckten nur noch schwach.
Diejenige aber, die daraus hervorging, war fortan wieder eine junge Frau mit frischen Wangen, jugendlich blondem Haar, glatter Haut und schlanker Taille. Das Blut, das von ihrem Körper abperlte wie von einem ölgetränkten Tuch, legte nichts als makellose Schönheit frei. Mit einem Wimpernschlag verschwanden auch die Reptilienaugen, die das Ritual zum Vorschein gebracht hatte, und sie war wieder zu der anbetungswürdigen Vicomtesse de Malicorne geworden, deren Charme den gesamten Königshof bezirzte.
Doch hier, fernab vom Hof, zwang sie sich nicht zu einem Lächeln. Als sie aus dem Fünfstern trat und auf eine geheime Treppe zuschritt, die zu ihren Gemächern führte, zeugte ihr Blick von einer uralten und grausamen Weisheit. Er verriet nicht nur ihr Alter, sondern auch ihre Abstammung. Kein Zweifel, das Drachenblut, das ihr die Jugend zurückgebracht hatte, pulsierte auch in ihren Adern.
I
Der Ruf zu den Waffen
1
Im rußigen Flackern der Kerzen schimmerten die vergol deten Rücken der Bücher, die die Wände des Zimmers über und über bedeckten. Draußen, hinter dem schweren roten Samt der Vorhänge, ruhte unter einem sternenklaren Himmel die Stadt Paris. Die tiefe Stille, die über den dunklen Stra ßen lag, drang bis in das Zimmer herauf, wo die Nachtruhe nur durch das leise Kratzen einer Feder gestört wurde. In ausdrucksvoller und kühner Schrift schrieb eine knochige, blasse Hand ebenmäßige Buchstaben nieder, ohne Streichungen oder Korrekturen vorzunehmen. Immer wieder tauchte sie die Feder mit präziser Geste ins Tintenfass und führte sie knirschend und ohne zu zögern über das Papier. Ansonsten rührte sich nichts. Nicht einmal der kleine purpurne Drache, der friedlich neben der Schreibunterlage aus Saffianleder schlummerte, die Schnauze unter einem Flügel vergraben.
Da klopfte es an die Tür.
Die Hand schrieb ungerührt weiter, doch der kleine Drache blinzelte irritiert mit den smaragdgrünen Augen. Ein Mann trat ein. Er trug einen Degen und einen auffälligen scharlachroten Mantel mit einem weißen Kreuz. Den Hut hatte er respektvoll gezogen.
»Ja?«, brummte Kardinal Richelieu, ohne die Feder abzusetzen.
»Er ist hier, Eminenz.«
»Allein?«
»Wie Ihr es befohlen hattet.«
»Gut. Er möge eintreten.«
Der Sieur de Saint-Georges, Hauptmann der Leibgarde Seiner Eminenz, verbeugte sich. Er wollte sich
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