Die Glorreichen Sieben 05 - und Der doppelte Schluessel
Gully hinüber. Sie machten ein kurzes metallisches Geräusch, und gleich darauf verschwanden sie wohl ein für allemal in einem der Zwischenräume des Eisengitters.
Der schlanke und große Martin Piepke setzte seinen Filzhut zurecht, nahm sein Gepäck auf und spazierte seelenruhig über den immer noch leeren Parkplatz, ohne den Fußgängerübergang zu benutzen, einfach mitten auf der Straße.
Und das hätte er nicht tun sollen.
Als er nämlich gerade über eine der beiden Straßenbahnschienen stiefelte, hörte er das Geräusch eines Motors, und fast gleichzeitig schoß ein offener Sportwagen aus der Kurve von der Rabenstraße her genau auf ihn zu. Er war so knallrot lackiert wie der Leihwagen, den er gerade abgestellt hatte. Sein Motor knallte und krachte immer wieder wie ein mittleres Feuerwerk. Vier Jungen auf Fahrrädern und in blauen Trainingsanzügen klebten förmlich an der hinteren Stoßstange des offenen Flitzers. Dicht nebeneinander profitierten sie mit eingezogenen Köpfen von seinem Windschatten und benutzten ihn gleichzeitig als eine Art Schrittmacher.
Chefredakteur Kubatz von den Bad Rittershuder Nachrichten saß mit einer karierten Sportmütze und einem weißen Rollkragenpulli hinter dem Steuer. Er drückte mit der flachen Hand wohl ein paar Sekunden lang auf die Hupe, aber keinesfalls auf die Bremse. Sonst hätte es unter dem Pulk der Radfahrer hinter seinem Kofferraum unweigerlich einen Massensturz gegeben.
Herr Piepke machte mit seinem Gepäck einen schnellen Sprung zurück, womit er deutlich demonstrierte, daß sein Reaktionsvermögen erstaunlich gut funktionierte. Auch sportlich schien er in guter Form zu sein. Aber der Schrecken war ihm doch in die Knochen gefahren, und er brüllte aus vollem Hals: „Saubande!“ Weil ihn jedoch die Davonfahrenden bei dem Lärm, den der knallrote Sportwagen fabrizierte, trotz seiner Lautstärke gar nicht hören konnten, schimpfte er mehr für sich: „Es ist zum Jammern, wie unverschämt und rücksichtslos manche Menschen sein können -“
Anschließend stellte der bisherige Gast vom Hotel zum Kurfürsten unter Beweis, daß er Aufregungen im Handumdrehen wegpusten konnte wie Seifenblasen. Von einer Sekunde zur anderen war er wieder so kalt wie eine Hundeschnauze. Er marschierte mit seinem Gepäck in die Bahnhofshalle, besorgte sich am Kiosk einige Lektüre und setzte sich im Wartesaal auf eine Bank dicht am Fenster. Durch eine Gardine konnte er von hier aus die Bahnsteige beobachten und war andererseits durch eine runde Betonsäule vor neugierigen Blicken geschützt. Schließlich besann er sich noch auf den Trick, der schon so uralt ist, daß er eigentlich verboten werden müßte: Er faltete eine Illustrierte auseinander und versteckte sich hinter ihr.
Die Bahnbeamtin, die weiter drüben hinter einer Glasscheibe am Fahrkartenschalter saß, strickte an einem tintenblauen Wollpullover und langweilte sich. Um diese frühe Zeit war es am Schalter fast so ruhig wie zu Hause in ihrem Wohnzimmer.
Du bist doch ein ganz besonders kluger Knabe, überlegte Martin Piepke und bewunderte sich selbst. Wie vernagelt und blöde wäre es gewesen, wenn er seine Fahrkarte hier auf dem Bahnhof gelöst hätte. Früher oder später kommt bestimmt die Polente und fragt diese Strickerin in ihrem Aquarium, ob ihr heute morgen irgendein Mann mit einem grauen Filzhut aufgefallen sei. Natürlich würde sie sich bestimmt erinnern und auch noch ausplaudern, welchen Zug der Mann benutzen wollte und bis zu welchem Ort er ein Billett gekauft hatte. Und schon wäre Martin Piepke in der Falle gesessen.
Zehn Minuten später lief der Zug nach Hannover ein. Er hatte es eilig und hielt in Bad Rittershude nur fünf Minuten.
Trotzdem ließ sich der rosafarbene Mann Zeit und faltete in aller Ruhe seine Zeitung zusammen. Anschließend klemmte er sie mit den übrigen Zeitschriften unter den Arm, nahm sein Gepäck auf und spazierte zum Bahnsteig hinüber. Der Zugschaffner half ihm höflich beim Einsteigen in einen Wagen der ersten Klasse.
„Äußerst freundlich“, bedankte sich Herr Piepke und fügt gleich hinzu: „Ich komme in der letzten Minute und hatte zum Lösen der Fahrkarte am Schalter bedauerlicherweise keine Zeit mehr. Aber Sie gehen ja nachher durch die Abteile.“
„Kein Problem, mein Herr“, erwiderte der Zugschaffner zuvorkommend. „Kostet lediglich einen kleinen Aufschlag.“
„Ist ja beim Finanzamt abzugsfähig“, kicherte Herr Piepke und verschwand.
Etwa zur selben Zeit
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