Die Glücksbäckerei – Das magische Rezeptbuch
nervös. »Nein, natürlich nicht, Liebes. Ich würde es nur ausleihen!«
»Aber wird meinen Eltern nicht auffallen, dass es fort ist? Woraus sollen sie selbst backen?« Und dann fiel ihr noch etwas ein, das sie sich fast nicht zu fragen traute. »Und werde ich ihnen nicht fehlen?«
Tante Lily streckte den Finger aus und stupste damit auf Roses Nase. »Das, meine Süße, ist der einfache Teil. Als ich jung war, habe ich das Rezept für etwas ganz Wunderbares gelernt, das sich
Vergiss-mich-Keks
nennt. Du flüsterst einfach den Namen der Dinge, die die Esser vergessen sollen – in unserem Fall wären das du und ich und das alte Backbuch –, und dann mischst du das Flüstern in den Backteig. Dann verteilen wir die Kekse an Tymo, Basil, Nella, Chip, Mrs Carlson und deine Eltern, und sie werden vergessen, dass es dich, mich oder das Buch jemals gegeben hat. Sie werden dich also nicht eine Sekunde vermissen! Sie betreiben weiter ihre schöne Bäckerei, zusammen mit ihren anderen wunderbaren Kindern – nur eben keine
Glücksbäckerei
mehr. Wir beide jedoch werden mörderisch berühmt sein – man wird uns verehren und anbeten!«
Rose hätte es nicht von sich gedacht, dass sie wagen würde, dies in Erwägung zu ziehen, aber tatsächlich, sie erwog es. »Und die Kekse funktionieren wirklich?«, fragte sie nämlich.
»Ja, ich weiß, dass sie funktionieren. Ich habe sie schon hie und da angewendet.« Lily grinste. »Wie sonst sollte ich wohl meiner langweiligen Familie entkommen sein? Ich war dazu bestimmt, Großes zu vollbringen, aber sie hinderten mich nur. Also machte ich eine Ladung von diesen Keksen, und sie haben sich mir nie wieder in den Weg gestellt!«
Rose warf wieder einen Blick hinaus zu ihren Brüdern, die ihre kleine Schwester auf der Schaukel anschubsten. Wie konnte sie sie einfach zurücklassen? Würde deren Leben ohne Rose genauso weitergehen?
Andrerseits, wie konnte sie hierbleiben und alles wieder so werden lassen, wie es gewesen war? Rose würde es nicht einen einzigen Tag mehr aushalten, als Laufmädchen losgeschickt zu werden, um Obst einzukaufen, während ihre Eltern zauberten und ihre Geschwister alle etwas Besseres vorhatten. Das ging nach dieser Woche nicht mehr. Sie hatte das Buch mit all seinen wunderbaren Möglichkeiten erlebt und wollte nicht wieder damit aufhören. Trotzdem, das ganze Vorhaben erschien ihr doch ein wenig drastisch.
»Ich weiß nicht, ob ich das kann«, sagte Rose.
»Tja, es kommt eben darauf an, ob du dein restliches Leben hier verbringen und deine Talente verschleudern willst oder ob du wirklich etwas aus dir machen, den Respekt von Millionen erlangen und zu einer schillernden Dame von Welt werden willst. Wie
moi.
«
Eine schillernde Dame von Welt. Bewundert von Millionen. Genau das, was Rose immer hatte sein wollen. Aber um welchen Preis?
»Wann würden wir gehen?« Rose hüstelte. »
Falls
ich gehe.«
Tante Lily gähnte ungezwungen. »Morgen früh. Ich bleibe lange auf und bereite den Teig für die
Vergiss-mich-Kekse
. Wenn du gehen willst, komm heute Nacht spät in die Küche, und wir zaubern zusammen –«
Gerade, als Tante Lily endete, trugen Tymo und Basil Nella in die Küche und setzen sie zu Lily und Rose in die Nische.
Basil stand neben dem Tisch und setzte zu einer Ankündigung an. »Ich finde, wir sollten heute Pizza zum Abendessen bestellen!« Er verbeugte sich mit einer Geste, als würde er ein Cape tragen. »Es ist der letzte Abend, ehe Mom und Dad zurückkommen, und ab dann gibt es kein Essen mehr, das solchen Spaß macht. Und dann dürfen wir auch nicht mehr zaubern.«
»Genau. Nicht mehr zaubern«, sagte Rose. Dann stimmte es also. Selbst Basil hatte es kapiert. Nie wieder würden sie das Backbuch anrühren dürfen, selbst wenn sie den ganzen Ärger verschwiegen, der dadurch entstanden war. Ihre Eltern trauten ihnen einfach nicht.
Nachdem Nella am Abend eingeschlafen war, packte Rose leise ihre Kleider und ihren Wecker in die kleine gelbe Reisetasche, die sie manchmal auf Übernachtungspartys mitnahm. Auf Zehenspitzen schlich sie über den Flur, die Treppe hinunter und in die Küche, wo Tante Lily sich über die Anrichte beugte. Sie hatte ein leeres Einmachglas in der Hand.
»Lily.« Ihre Tante flüsterte ihren eigenen Namen in das Glas. Das Flüstern glühte hellviolett auf, als es in das Gefäß sank. Dann erstarrte der glühende Hauch zu einem schwachen geisterhaften Bild von Lilys Gesicht.
Zum Glück hatte Tante Lily sie nicht entdeckt.
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