Die Glücksbäckerei – Das magische Rezeptbuch
Rose beobachtete sie weiter.
»Das alte Backbuch der Familie Glyck«, flüsterte Lily. Und auch dieses Flüstern schwebte in das Glas und formte sich zu einem Abbild des vertrauten braunen Buchdeckels ihres alten Backbuchs.
Und dann: »Rosmarin.« Als Tante Lily ihren Namen flüsterte, bekam Rose auf der Stelle eine Gänsehaut.
Vor ihren Augen wurde aus Lilys Flüstern in dem Glas ein schimmerndes Bild von Roses gesamtem Körper. Sie war sich nicht sicher, aber von dort, wo sie auf der Treppe hockte, sah es aus, als ob ihr Abbild an die Glaswände des Gefäßes trommelte und schrie, dass es hinauswolle.
Tante Lily schloss den Deckel, ließ die Verschlussklappe zuschnappen und schüttelte das Glas, dann öffnete sie es über einer Teigschüssel, in der sie bereits einen krümeligen, butterhaltigen Teig angerührt hatte. Die Flüsterbilder sausten aus dem Glas in die Schüssel. Der Teigball erhob sich aus der Schüssel und zerbarst in tausend kleine Stücke, die in der heißen, dunklen Luft der Küche hängen blieben.
Die Teigkrümel kreisten, erst langsam, dann schneller wie Blätter in einem Wirbelwind, bis alle winzigen Stückchen in die Schüssel zurücksausten, als würden sie in einen strudelnden Abguss gesaugt.
Tante Lily klopfte den Teig mit den Händen. »So, das wäre erledigt.«
In dem Moment sah sie auf und entdeckte Rose an der Treppe. Sie lächelte breit. Sie wussten beide, was das bedeutete.
»Ich komme mit nach New York«, flüsterte Rose.
Kapitel 17
Halt-den-Mund-Tarte
mit Hintertürchen
Am nächsten Morgen, vor dem ersten Dämmern, kam Tante Lily in Roses Zimmer und rüttelte sie wach. »Lass uns gehen, meine Süße! Die Kekse sind schon im Ofen.«
Rose schlüpfte in ihre Sachen, die sie für die Reise zurechtgelegt hatte: ihre Jeans und eine blaue Bluse. Und als Tante Lily wieder nach unten verschwunden war, ging sie rasch ins Badezimmer, um dort ein letztes Mal die Zähne zu putzen.
Zu ihrer Überraschung fand sie Tymo und Basil und Nella darin vor, die sich ebenfalls die Zähne putzten. Tymo sah unverschämt gut aus, wie immer in seinen dunkelblauen Basketball-Shorts. Basils lockiges rotes Haar stand wild in alle Richtungen ab. Nella sah Rose mit dunklen, vertrauensvollen Augen an, die die ganze obere Hälfte ihres Gesichts einzunehmen schienen. Gestern Abend, als sie alle nicht nah bei ihr gewesen waren und sie so ernst angesehen hatten, war es leichter gewesen, sich vorzustellen, ohne sie auszukommen.
»Warum seid ihr denn schon so früh auf?«
»Wir machen Frühstück für wenn Mom und Dad heimkommen«, sagte Basil etwas unkorrekt.
»Hilfst du uns?«, fragte Tymo. »Wir wissen ja eigentlich nicht, wie man was macht.«
Nella kam angerannt und umklammerte Roses Bein. »Schau mal, was ich gefunden habe, Rosie!« Rose sah hinunter. Nella umklammerte ihre alte Polaroidkamera.
»Was willst du denn mit der?«, fragte Rose.
»Foto machen!«, sagte Nella mit aufgerissenen Augen und hoher, piepsiger Stimme. Sie deutete auf Rose und ihre Brüder.
»Komm her für ein Foto,
mi hermana
«, sagte Tymo. Und er legte einen Arm um Rose und den anderen um Basil, und dann hob Rose Nella auf den Arm und drückte sie an sich. Nella hielt die Kamera so weit weg wie möglich und so, dass alle vier auf das Foto passten. Nella knipste, und es blitzte.
Basil pustete auf das Foto, als es aus der Kamera fiel, und reichte es Nella.
Alle beugten sich darüber und sahen zu, wie das Bild allmählich deutlich wurde.
Nach einer Minute waren Rose und ihre Geschwister auf dem Papier zu sehen: der hochgewachsene Tymo mit seiner roten Igelfrisur; der rundliche Basil mit seinem roten Lockenkopf; Nella mit weit geöffnetem Mund und Rose mit den langen dunklen Haaren – das schwarze Schaf.
»Das behalte ich«, sagte Rose zu ihrer Schwester. Sie nahm das Foto und schob es in die Blusentasche, direkt über ihrem Herzen.
»Warum weinst du, Rose?«, fragte Basil. »
So
schlecht siehst du doch nicht aus auf dem Foto.«
Rose wischte sich eine salzige Träne von der Wange. »Es ist einfach … weil ich euch alle so lieb habe.«
Tymo und Basil sahen Rose an, als habe sie fünf Köpfe. Nella klammerte sich zärtlich an das Bein ihrer großen Schwester.
»Also, wir haben dich doch auch total gern, Rosita«, sagte Tymo. »Manno! Ist doch klar wie Kloßbrühe!«
Rose machte sich von ihrer Schwester los und rannte aus dem Badezimmer. Sie hielt es nicht mehr aus, ihre Geschwister anzusehen.
»Wo gehst du denn hin,
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