Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
der Mörder Zugang zur Klosteranlage hatte. Die ist nachts abgeschlossen.«
»Und?«, fragte Emma. »Wie hat er es dann geschafft?«
»Über das Gästehaus«, erwiderte Paul. »Das muss wohl in der Nacht offen gestanden haben.«
Emma durchquerte den Klostergarten und schritt an der Mauer entlang, bis sie den Eingang des Gästehauses erreichten. Emma legte die Hand auf die Klinke, sah zu Paul und drückte dann nach unten.
»Abgeschlossen«, sagte Emma leise.
»Und jetzt?«, fragte Paul. Er fischte sein Handy aus der Tasche und warf einen Blick auf das Display. Grieser hatte sich nicht gemeldet, und auch sonst war kein Anruf angekommen. Mit grimmiger Miene steckte er das Handy wieder ein.
»Komm«, flüsterte Emma, »wir versuchen es über die Kapelle.«
»Irgendwo muss doch die Streife sein«, erwiderte Paul leise.
»Wenn es überhaupt eine gibt.« Emma hastete an der Klostermauer entlang. Sie passierten den Haupteingang. Emma drückte im Vorübergehen mehrfach die Klinke nach unten, doch das Tor war fest verschlossen. Dann erreichten sie den kleinen Friedhof im Süden der Anlage. Emma strebte zwischen den Gräbern auf die Kapellentür zu. Als sie am Grab der Äbtissin vorbeikamen, sah Emma verblüfft, dass dort, wo noch vor wenigen Tagen das Grabkreuz gestanden hatte, ein dunkles Loch in der Erde glänzte.
Dann erreichten sie den Eingang der Friedhofskapelle. Die Tür war nur angelehnt. Vorsichtig näherte sich Emma und drückte ihre Hand gegen das dunkle Holz. Die Tür schwang auf. Der Mond versteckte sich hinter Wolken und warf nur einen hellen Schimmer durch die bleiverglasten hohen Fenster. Emma zuckte zusammen. Auf der anderen Seite des Gebäudes knarrte die offene Tür leise im Nachtwind, schnelle Schritte waren zu hören.
Emma blickte quer durch die Kapelle in den Klosterhof, der fahl im Mondlicht lag. Sie erhaschte den Schatten einer eilig davonhastenden dunklen Gestalt, die hinter der Abteikirche verschwand.
Emma warf Paul einen fragenden Blick zu. Er zog die Augenbrauen hoch und zuckte mit den Achseln. Sie wandte den Kopf und starrte in das Halbdämmer der Kapelle. Hinter dem Altar flackerte das Rot des ewigen Lichts. Sonst war alles ruhig. Allmählich setzte sie sich in Bewegung.
»Willst du wirklich?«, flüsterte Paul. »Hier läuft schließlich ein Mörder frei rum.«
»Eben deswegen«, wisperte sie. »Auf uns hat er es nicht abgesehen. Also haben wir nichts zu befürchten.« Sie wusste, dass es nicht stimmte, aber allein der Gedanke, dass in diesem Moment vielleicht ein weiterer Mensch sein Leben verlor, setzte so viel Adrenalin frei, dass sie ihre Angst vergaß. Emma ging schneller. Ihr Herzschlag verursachte in ihren Ohren ein lautes Rauschen. Hinter sich hörte sie Pauls vorsichtigen Schritt. Sie überquerten den Mittelläufer.
Behutsam gingen sie weiter und erreichten die gegenüberliegende Tür. Der Klosterhof wirkte menschenleer, ein sanfter Wind strich durch die Trauerweiden im Kreuzgang. Emma sah hinüber zu den Rundbögen, wo im Schatten der Bäume ein Käuzchen rief.
Paul trat neben sie. Auf einmal war ein anderes Geräusch zu hören. Es klang wie das Stöhnen eines Menschen. Emma hielt den Atem an und lauschte. Erneut war ein Stöhnen zu hören. Sie hatte den Eindruck, dass es von der gegenüberliegenden Seite des Hofs kam. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Sie setzte einen Fuß in den Klosterhof. Der Schotter knirschte laut, dennoch ging sie langsam weiter. Paul folgte ihr. Jeder ihrer Schritte schien Geräusche zu machen wie ein ganzes Regiment Soldaten auf dem Weg zur Feldküche.Wieder war ein Stöhnen zu hören. Emma beschleunigte ihre Schritte. Sie ließen den Kreuzgang hinter sich, dann den Haupteingang der Kirche. Das Kloster kam näher, doch das Stöhnen hatte aufgehört.
Emma spürte Panik aufkommen. Dann sah sie im Schatten der Kirchenmauer einen Menschen liegen. Sie rannte auf die dunkle Gestalt in Ordenskleidung zu, die am Boden lag und kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Neben ihr erkannte Emma das achtlos weggeworfene Grabkreuz. Dann hörte sie, wie hinter ihr Pauls Handy klingelte.
Emma ging auf die Knie und schob sachte den Schleier zur Seite, der sich über das Gesicht der Ordensschwester gelegt hatte. Sie starrte entsetzt in das Gesicht einer Frau, die sie nur ein- oder zweimal gesehen hatte. Trotzdem wusste sie sofort, dass es die Äbtissin war. Paul sprach leise in sein Handy, ging neben Emma auf die Knie und tastete an ihrer Halsschlagader nach dem
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