Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
zerstören. Er hatte sie zwar nicht selber herbeigeführt, doch wenn er den Hintergrund offenlegte, stünde er als Vergewaltiger da. Auch nicht besser. Wenn die Kirche davon erführe. Was könnte er tun, um das zu verhindern? Alle mundtot machen, die davon wussten. Miriam Schürmann, Markus Hertl, Thomas Kern, Schwester Lioba.
Schlagartig wurde ihr klar, dass Paul recht behalten könnte und in dieser Nacht vermutlich noch ein weiterer Mensch den Tod finden sollte. Hastig sah sie auf die Uhr, es war bereits eine halbe Stunde nach Mitternacht. Emma sprang auf, fuhr den Rechner herunter, nahm sich ein paar warme Sachen und griff nach ihrer Handtasche. Auf dem Weg durch das Treppenhaus versuchte sie Paul zu erreichen. Doch derreagierte weder auf Festnetz noch auf sein Handy. Mit einem Fluch steckte Emma das Handy wieder ein. Sie zweifelte nicht daran, dass Paul fest schlief und wie immer das Telefon nicht hörte.
Zwanzig Minuten später stellte sie ihren Bus vor Pauls Wohnhaus ab. Nur jede zweite Straßenlampe warf ihren verloren wirkenden Lichtschein auf eine menschenleere Straße. Emma kletterte aus dem Bus, hastete über den Gehweg und klingelte Sturm. »Was zum Teufel soll das?«
Pauls Stimme klang verschlafen durch die Gegensprechanlage, die wieder funktionierte.
»Ich bin’s«, sagte Emma. »Mach auf und zieh dich schon mal an. Wir müssen gleich weiter.«
Es dauerte einige Sekunden, dann erklang der Türöffner. Emma drückte die schwere Haustür auf und nahm immer zwei Stufen auf einmal. Als sie oben ankam, streifte sich Paul ein T-Shirt über und griff nach einem dunklen Pullover.
»Ich weiß jetzt, wer es war«, sagte Emma keuchend. »Nimm dein Aufnahmegerät mit und die Kamera.«
Paul packte wortlos alles zusammen. Gemeinsam verließen sie die Wohnung. Emma setzte sich hinter das Steuer, und Paul kletterte auf den Beifahrersitz. Während Emma den Bus durch die nachtdunklen Straßen Mannheims steuerte, erzählte sie Paul, was ihr in der Nacht klargeworden war.
Paul blickte sie skeptisch an. »Kann sein«, meinte er, »muss aber nicht sein.«
»Ich finde«, erwiderte Emma düster, »kann sein, reicht. Das könnte heute Nacht noch mal jemanden das Leben kosten.«
Paul starrte durch das Seitenfenster hinaus in die Nacht. Dann griff er nach seinem Handy und drückte ein paar Tasten. Emma warf einen Blick zu ihm hinüber. Paul lauschtemit teilnahmslosem Blick. Dann legte er das Handy zur Seite.
»Er hat es weggedrückt«, sagte er düster.
»Grieser?«, fragte Emma überflüssigerweise.
Paul brummte zustimmend. Emma setzte den Blinker und bog auf die A61. Die Autobahn war bis auf vereinzelte Fahrzeuge leer.
»Wie wäre es mit seiner Kollegin?«, fragte Emma.
»Ich hab nur seine Nummer«, erwiderte Paul.
»Und die Leitstelle?«
Paul nickte und griff erneut nach seinem Handy. Er wählte eine Nummer, lauschte. Dann hatte er offensichtlich einen Beamten am Apparat. Paul erklärte ausführlich, dass sie in dieser Nacht mit einem Mordanschlag im Kloster Rupertsberg rechneten, in dem in den vergangenen Tagen bereits zwei Menschen gestorben seien. Und wie wichtig es sei, dass die zuständige Soko Kontakt zu ihnen aufnahm. Umständlich diktierte er seine Handynummer, dann legte er auf.
»Der glaubt mir kein Wort«, sagte er und warf verärgert das Handy auf das Armaturenbrett. »Er will es weitergeben und sich dann wieder bei mir melden.«
Emma streifte ihn mit einem Seitenblick. »Schick Grieser eine SMS«, sagte sie und drückte das Gaspedal durch. Schon bald erreichten sie ein Tempo, das sie dem alten Bus nicht mehr zugetraut hatte.
Zum Osternachtsgottesdienst hatten sich wenige versprengte Bingerbrücker und etliche Touristen eingefunden. Besorgt registrierte Schwester Lioba, dass wie so oft im Laufe des Gottesdienstes ein Besucher nach dem anderen die Abteikirche verließ. Sie hatte in den vergangenen Jahren unter ihrer Vorgängerin schon oft erlebt, wie hoffnungsvoll viele Menschen insbesondere an hohen Feiertagen die Abteikirchebetreten hatten, um mit den Schwestern des Konvents die Messe zu feiern. Doch der Gregorianische Choral sah nur den Wechselgesang in Latein zwischen der Äbtissin und den Schwestern vor. Andere Besucher des Gottesdienstes waren zum Schweigen verurteilt und wurden in die Rolle von Zuschauern gedrängt. Der Priester, der die Messe hielt, war die meiste Zeit den Schwestern zugewandt. Und so verließen viele Besucher die Abteikirche enttäuscht wieder, meist schon im Laufe
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