Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
eigentlich Pfarrer Windisch im Verdacht, dass er versucht, eine Kastration geheim zu halten, damit seiner Karriere nichts im Wege steht.«
Schwester Lioba nickte. »Sie sind der Wahrheit ziemlich nahe gekommen. Windisch hat zwar nicht gemordet, aber er hat mich erpresst, damit niemand erfährt, was damals passiert ist.«
»Und was geschah mit Pater Benedikt?«, fragte Emma.
»Miriam wollte Genugtuung dafür, dass er ihr nicht geholfen hat. Sie wusste, dass im Keller ihres Vaters ein altes Brandeisen lag in der Form eines Eselkopfes. Das fand Miriam angemessen, weil Hildegard über Männer schrieb, die sich wie Esel aufführten, wenn sie ohne Frauen blieben.Miriam hat Pater Benedikt aufgefordert, sich entweder selber zu brandmarken, oder sie würde ihn wegen Beihilfe anzeigen.«
»Hat ihn das in den Selbstmord getrieben?«, fragte Emma, »oder war es gar kein Selbstmord?«
»Er war am Tag nach der Vergewaltigung voller Scham und Schuldgefühle. Er wusste, dass sein sexueller Trieb ihn schwach machte. Deshalb hatte er sich auch kastrieren lassen. Er dachte, damit sei er gefeit vor Versuchungen. Dass er Miriam nicht geholfen hatte, zeigte ihm, dass nicht sein sexueller Trieb das Problem war. Sein Charakter war das Problem. Das passte nicht zu seinem Selbstbild und auch nicht zu seinem Lebensweg.«
»Und die Handschrift?«
»Das war eine Art Wiedergutmachung für Miriam. Deshalb hat Miriam die Handschrift als eine Art persönlichen Besitz betrachtet.«
»Was wollte Pfarrer Windisch von Miriam?«, fragte Emma. »Er hat sie in der Woche vor der Weihe in ihrer Wohnung in Mainz besucht.«
»Ich hatte meine ehemaligen Klassenkameraden zu meiner Weihe eingeladen, damit sie mir helfen, Miriam zu überzeugen, mir die Handschrift zu überlassen. Deshalb habe ich sie vor einigen Wochen alle angerufen und ihnen davon erzählt. Doch dann ist genau das Gegenteil von dem passiert, was ich mir erhofft hatte.« Schwester Lioba lächelte traurig. »Windisch hatte Sorge, dass mit dem Auftauchen der Handschrift auch die alte Geschichte wieder aufgerührt wird und Miriam nach all den Jahren doch noch öffentlich macht, was damals passiert ist. Markus Hertl hat nun seinerseits versucht, an die Handschrift zu gelangen. Er hoffte, dass die Handschrift ihm den Weg ebnen würde, endlich einen Lehrstuhl zu bekommen. Und Kern konnte es nicht fassen, dass diebeiden ungehindert an ihren Karrieren bastelten. Auch er hatte Karriere als Arzt machen wollen, doch nach der Kastrierung war ihm ein bürgerliches Leben unerträglich.«
»Markus hat mir viel von dieser Handschrift erzählt«, sagte Emma leise.
»Hertls Interesse daran hat auch Miriam angesteckt. Sie hat sich all die Jahre nie dafür interessiert. Es reichte ihr schon die Genugtuung, dass sie diese wertvolle Schrift besaß. Aber auf einmal wollte sie selber herausfinden, ob nicht vielleicht doch ein Geheimnis damit verbunden ist.«
»Wissen Sie denn, wo Miriam die Handschrift aufbewahrt hat?«
»Nein«, erwiderte Schwester Lioba. »Wahrscheinlich werden wir es auch nie erfahren. Sie hat einmal angedeutet, dass sie unwiederbringlich verloren wäre, wenn sie unvermutet sterben würde. Das war für sie eine Art Lebensversicherung. Aber es hat nicht funktioniert. Thomas wollte sich nach all den Jahren für sein verpfuschtes Leben rächen. Die Handschrift war ihm völlig egal.«
Epilog
Noch am gleichen Tag schrieb Emma einen Artikel über die Morde im Kloster Rupertsberg, der auf den Fall ein ganz neues Licht warf. Eine große Wochenzeitschrift druckte den Artikel, der viel Aufmerksamkeit erregte. Mit den Folgeaufträgen verdiente Emma genug Geld, um ihre Miete zu bezahlen und den Bus reparieren zu lassen. Ihrem Vater leistete sie heimlich Abbitte, dass sie ihn verdächtigt hatte.
Einige Wochen später erfuhr Emma bei einem Besuch im Kloster Rupertsberg, dass Schwester Lioba es mit Unterstützung der Unternehmensberaterin geglückt war, ein tragfähiges wirtschaftliches Konzept für ihren Konvent zu entwickeln. Mit Hilfe eines großzügigen Kredits der Diözese kaufte sie wenig später das nahe gelegene Hotel und entwickelte ein Seminar- und Tagungsprogramm für spirituell suchende Menschen. Die Seminare wurden von Ordensschwestern und von weltlichen Lehrern und Lehrerinnen geleitet. Die enge Anbindung an eines der ältesten Klöster Deutschlands verschaffte dem Hotel schnell einen regen Zulauf. Die Ordensschwestern vom Kloster Rupertsberg zelebrierten weiterhin den
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