Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
Faltblatt ein und überquerte die Straße.
3. Kapitel
Gleichwohl ist ihre Umarmung, die sie mit den Frauen in mäßigen Grenzen halten sollten, schmerzhaft, widerwärtig und todbringend wie die von reißenden Wölfen.
Hauptkommissar Grieser rieb sich die Augen und kämpfte gegen das Bedürfnis an zu gähnen. Als sein Vorgesetzter ihn heute Morgen aus dem Bett geholt hatte, um ihm die Leitung der Soko Hildegard zu übertragen, lagen gerade mal fünf Stunden Schlaf hinter ihm. Die Leitung hatte er nur bekommen, weil Möller im Osterurlaub war. Das war das erste Mal für ihn. Endlich konnte er zeigen, dass er mehr drauf hatte als die Sicherung eines Tatorts oder die Befragung von Zeugen.
»Ist er schon draußen, oder habe ich noch einen Moment?«, fragte Grieser und streckte sich.
»Er steht schon seit einigen Minuten im Flur, hat sich aber bisher noch nicht beschwert. Für einen Kaffee sollte es reichen«, sagte Sabine Baum.
»Bring ihn rein«, erwiderte er. Seine Kollegin zuckte die Achseln und ging hinaus. Eine halbe Minute später kam sie mit einem Mann im Schlepptau zurück, der sie um einen Kopf überragte. Genau der Typ Mann, den Frauen mochten:groß, schlank, gutaussehend. Zu allem Überfluss wirkte er auch noch freundlich und offen. Genau der Typ Mann, den Grieser nicht mochte.
»Kaffee?«, fragte er ihn statt einer Begrüßung.
Dr. Thomas Kern zog sich den Stuhl ihm gegenüber heran und nickte.
»Gern«, erwiderte er.
Grieser stand auf und ging hinüber zu dem Gerät, das auf Knopfdruck verschiedene Arten Kaffee lieferte. Er griff nach einer der Tassen und drückte die Taste für den doppelten Espresso.
»Was für einen Kaffee möchten Sie?«, fragte er und warf einen Blick über die Schulter.
»Cappuccino«, gab Kern zur Antwort und beobachtete ihn neugierig. Grieser griff nach einer weiteren Tasse und wartete, dass er die Maschine ein zweites Mal starten konnte.
»Ich nehme einen Milchkaffee«, erklang Sabine Baums Stimme hinter seinem Rücken.
Grieser brummte zustimmend. Die Maschine röchelte, und Grieser wartete darauf, dass sie die letzten Reste Milch ausspuckte. Hinter ihm stellte Sabine Baum das Aufnahmegerät an, mit dem sie die Vernehmung mitschnitten. Zuerst fragte sie die wichtigsten Daten ab: Name und Vorname, Alter, Beruf, Wohnort und Verhältnis zur Ermordeten. Dann klärte sie Thomas Kern darüber auf, dass er als Zeuge und nicht als Verdächtiger vernommen werde und dass er das Recht habe, die Aussage zu verweigern, sollte er sich damit selber belasten.
Grieser brachte Baum ihren Kaffee, den sie mit einem knappen »Danke« entgegennahm. Eine weitere Tasse stellte er vor Kern ab.
Sie saßen im Gäste-Refektorium des Klosters, dem Speisesaal für die Bewohner des Gästehauses. Der langgestreckte Raum war weiß tapeziert. Die schmale Querseite schmückteein asketisch anmutendes Kreuz. Die Fenster verschwanden in tiefen Nischen, an deren Seitenwänden grob behauene Steine zu sehen waren. Die Einrichtung aus dunklem Holz wirkte modern.
Kern lehnte nachlässig auf einem Stuhl mit hoher Lehne und hatte eine Hand um sein Knie gelegt. Mit der anderen griff er nach dem Kaffee. Er trank einen Schluck und stellte die Tasse zurück auf den Tisch.
»Danke Ihnen«, sagte er. Sein graumeliertes Haar war exakt geschnitten und umrahmte ein ebenmäßig geformtes Gesicht, das Ruhe und Eleganz zugleich ausstrahlte. Grieser konnte ihn sich kaum in schmuddeliger und mit Blut beschmierter Kleidung vorstellen.
»Sie sind Gynäkologe?«, fragte Grieser.
Kern nickte.
»Und derzeit nur zu Besuch in Deutschland«, schob Grieser nach.
»Ich arbeite in einem kleinen Buschkrankenhaus in der Nähe von Léo in Burkina Faso«, sagte Kern. »Als Schwester Lioba mich zu ihrer Weihe als Äbtissin einlud, fand ich, das sei eine gute Gelegenheit, in Deutschland Spenden für das Krankenhaus zu sammeln.«
Grieser wusste von der Äbtissin, dass Kern das Krankenhaus vor etlichen Jahren selbst aufgebaut hatte und es nun leitete.
»Sie waren gestern im Kloster Altdorf bei Heidelberg«, sagte Grieser mit einem Blick auf seine Unterlagen, »und sind heute Morgen zurückgekehrt.«
»Ja, ich habe erst vor einer Stunde von Miriams Tod erfahren, als ich ankam.«
Sein Gesicht verschattete sich.
»Sie kannten sie schon lange«, half der Hauptkommissar nach.
»Wir sind gemeinsam zur Schule gegangen«, erwiderte Kern. »Im Internat der Abtei Altdorf. Aber das wird Ihnen Schwester Lioba gewiss schon gesagt
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