Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
gelegt hatte.
»Tut mir leid«, hörte sie sich sagen, und ihre eigene Stimme klang fremd in ihren Ohren, »so schnell fällt mir dazu nichts ein.«
Die Lüge war eine lässliche Sünde, fand sie. Doch die Schuldgefühle rollten heran wie eine Sturmwelle und drohten sie mitzureißen.
Grieser hatte bereits das Aufnahmegerät an sich genommen und war zur Tür gegangen.
»Die Kollegin wird später das Protokoll Ihrer Vernehmung zur Unterschrift vorbeibringen«, sagte er. »Doch ich fürchte, ich werde Sie noch einige Male belästigen müssen.«
Schwester Lioba hatte den Eindruck, dass er es wirklich bedauerte. Er warf einen Blick zurück, als spürte er, was in ihr vorging. Prüfend wanderten seine Augen über ihr Gesicht. Schwester Lioba faltete bedächtig die Hände. Sie nickte förmlich und wartete mit gesenktem Kopf darauf, dass die Tür sich hinter ihm schloss.
»Gibt es im Kloster viele Ordensschwestern?«, fragte Emma. Sie saß in einem Café nahe dem Kloster. Die Bedienung, ein arrogant wirkender Teenager mit Lippenpiercing, zuckte gelangweilt die Achseln.
»Ich weiß nicht«, bequemte sich die junge Frau mit näselnder Stimme dann doch noch zu einer Antwort. »Ich komme eigentlich nie ins Kloster, und die Schwestern sind selten im Ort.«
Sie griff nach der leeren Kaffeetasse und drehte sich weg. Dann blickte sie noch mal über die Schulter zurück und sah Emma fragend an. Emma schüttelte den Kopf. Hier hatte niemand was erzählen können, es lohnte sich nicht, sitzen zu bleiben. Sie griff nach ihrer Tasche und trat auf die Straße.Die blasse Sonne stand im Zenit und schaffte es kaum, die aufgeplusterten Spatzen im Park gegenüber zu wärmen. Eine Gruppe kreuzte ihren Weg, drei Erwachsene und fünf Kinder, die kichernd und lachend durcheinanderliefen. Zwei der Kinder trugen aufwändige Gestecke mit bunten Bändern und Holzstangen. Die anderen hatten kleine Sträuße aus Palmzweigen in den Händen.
Das Kloster lag auf der Höhe von Bingen am linken Naheufer und gehörte zum Bingener Stadtteil Bingerbrück. Wenige Geschäfte säumten die Durchgangsstraße, ein Hotel drängte sich mit pfeifender Klimaanlage neben einer Volksbank in den Schatten einer alten Eiche. Überall standen Menschen in Gruppen zusammen, die neugierig zum Kloster sahen und wahrscheinlich darüber sprachen, was passiert war.
Emma sah die Straße hinunter und überlegte, wie sie an weitere Informationen kommen könnte. Ihr Blick fiel auf einen Kiosk am Ende der Straße. Emma setzte sich in Bewegung und steuerte auf das flache Gebäude zu. Von weitem sah sie eine Frau mit Strickjacke und bunt gestreiftem Schal, die zwei Jugendlichen Pappschalen mit Pommes in die Hand drückte. Die Stehtische neben dem Kiosk waren verwaist.
Emma trat an das Brett heran, das in Hüfthöhe rund um den Kiosk verlief.
»Eine Currywurst«, sagte sie.
»Pommes oder Brötchen?«, fragte die Frau hinter dem Tresen und musterte Emma interessiert. Sie hatte eine ungesunde Gesichtsfarbe und ein offenes, freundliches Lächeln.
»Brötchen«, erwiderte Emma.
Die Kioskbesitzerin schob eine Pappschale unter die Öffnung einer Maschine und holte mit einer Zange eine der Würste vom Grill. Geschickt fädelte sie diese in den Einfüllstutzender Maschine. Die Wurst fiel, in Stücke zerlegt, in die Schale.
»Machen Sie Urlaub hier?«, fragte die Frau beiläufig. Sie hob den Deckel von einem verbeulten Alutopf, in dem eine rote Flüssigkeit simmerte.
Emma schüttelte den Kopf. Sie beobachtete, wie die Kioskbesitzerin Currysoße in die Pappschale löffelte.
»Ein paar Touristen sind schon hier«, plapperte die Frau munter weiter. »Zu Ostern kommt immer schon der erste Schwung und eröffnet die Saison.«
»Essen die Schwestern vom Rupertsberg auch manchmal bei Ihnen?«, unterbrach Emma den Redefluss und nahm die gefüllte Schale entgegen. Sie fühlte sich in ihrer Hand angenehm warm an.
»Schwester Angelika holt sich ab und zu mal eine Portion Pommes«, sagte die Frau und warf Emma einen neugierigen Blick zu.
Emma lächelte. Sie stellte die Schale auf die Ablage vor sich und nahm einen Bissen. Die Wurst war gut. Emma beobachtete kauend zwei Kollegen mit Kamera und Mikrofon. Sie waren auf der anderen Straßenseite auf der Jagd nach einem Statement. Doch keiner der vorbeihastenden Fußgänger mochte stehen bleiben.
»Im Moment kommt man nicht rein ins Kloster«, bemerkte Emma.
»Ins Kloster kommt man immer rein«, erwiderte die Frau und stellte den Topf mit
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