Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)

zum Flussufer hinab.
    »Darf ich reinkommen?«, sagte ich und schlug die Klappe an seinem Zelt zurück.
    »Hoffentlich hast du dir nicht den Kopf zerbrochen, wo ich geblieben bin«, sagte er.
    »Bloß, weil du die ganze Nacht unterwegs warst? Nicht im Geringsten. Wer hat dich abgesetzt?«
    »Ein Indianer.«
    »Damit ist alles klar. Rieche ich Parfüm?«
    »Lass gut sein, Billy Bob.« Er saß auf seinem Schlafsack und zog seine Stiefel aus.
    »Wo ist Sue Lynn?«, fragte ich.
    »Was machst du, wenn ich’s dir verrate?«
    »Sie wird gesucht. Man will sie im Zusammenhang mit einem Doppelmord vernehmen. Setz deinen Verstand ein, Lucas.«
    Er warf einen Stiefel an die Zeltwand. »Ich hab gewusst, dass du mir auf die Schliche kommst«, sagte er.
    »Willst du, dass das ATF sie zuerst findet?«, sagte ich.
    Sein Gesicht wirkte müde, die Haare hingen ihm in die Augen. Er schlang die Arme um die Knie und schaute mit finsterem Blick ins Leere.
    »Sie sagt, Carl Hinkels Leute sind hinter ihr her. Die glauben, sie weiß irgendwelche Sachen, aber das stimmt nicht«, sagte er.
    Ich ging nicht darauf ein. Ich kroch hinaus, holte seine Bratpfanne und die Kaffeekanne aus seiner Campingkiste, baute ein Feuer und fing an, das Frühstück zuzubereiten. Es warnoch kalt und dunstig, aber der Feuerschein wärmte mein Gesicht. Ich hörte Lucas hinter mir.
    »Oben am Swan Lake. Auf halber Höhe«, sagte er.
    Ich fuhr den Blackfoot flussaufwärts, durch Seenlandschaft und Wiesen, an verlassenen Ranches und grünen, buckligen Gebirgsausläufern vorbei, stieß dann östlich der Mission Mountains auf den zweispurigen Highway und kam ins Swan Valley. John Steinbeck hat einmal gesagt, Montana sei wie eine große Liebe. Wenn jemand einem bestimmten Flecken Erde ewige Treue geloben möchte, könnte er meiner Ansicht nach keinen besseren Ort finden als diesen Straßenabschnitt, auf dem ich mich befand. Brücke folgte auf Brücke, und jede führte über Flüsse und Bachläufe wie aus dem Bilderbuch, ein Berg ging in den nächsten über, der noch höher und grüner aufragte als der vorherige.
    Zwischen den Kiefern hindurch sah ich ein riesiges, lang gestrecktes blaues Gewässer, das in der Sonne schimmerte. Ich bog vom Highway ab und steuerte einen Fahrweg entlang zu einer Reihe von Hütten, die während der Depression in einem Birkenwäldchen errichtet worden waren. Die Berge auf der anderen Seite des Sees waren dicht an dicht mit Ponderosakiefern, Lärchen und Föhren bewaldet, und nur ein rotes Kanu war auf dem Wasser, von dem ein Mann seine Fliegenrute entlang des Ufers auswarf. Von Norden her fegte eine Bö über den See, kräuselte das Wasser wie alte Haut und verlockte einen dazu, den Blick nach Süden zu wenden, wo in weiter Ferne die mehr als zweieinhalbtausend Meter hohen Swan Peaks grau, Stahlfarben und mit Schnee verkrustet zum Himmel aufragten.
    Der Jeep Cherokee, den Sue Lynn den ATF-Agenten gestohlen hatte, war nicht schwer zu finden. Er stand auf einemCarport neben der Hütte des Verwalters, wo ihr Cousin wohnte, der die Anlage in Schuss hielt. Ich klopfte an der Haustür und wartete. Als niemand öffnete, ging ich nach hinten. Sue Lynn hatte einen weiteren Gebetsgarten angelegt, einen Steinring rund um eine Birke mit einem Kreuz aus roten und schwarzen Stoffstreifen, die sich bei dem Baumstamm schnitten. Sie saß auf der hinteren Treppe, trug rosa Tennisschuhe, ein ärmelloses Baumwollhemd und abgeschnittene, hochgerollte Jeans. Sie ließ sich keinerlei Überraschung anmerken, als sie mich sah.
    »Hat Lucas Ihnen gesagt, wo ich bin?«, fragte sie.
    »Wär’s Ihnen lieber, wenn Amos Rackley Sie vorher kriegt?«
    »Er ist gar nicht so übel.«
    »Haben Sie Kontakt mit ihm?«
    »Ich nehme jede Hilfe an, die man mir bietet. Zurzeit bleibt mir nicht viel anderes übrig.«
    Ich setzte mich auf die Stufe unter ihr und nahm meinen Hut ab. Auf der Zementveranda der Nachbarhütte grillte eine Familie Würstchen, und der Rauch trieb durch die Zweige der Bäume über uns.
    »Wollen Sie Dr. Voss wegen des Mordes an Lamar Ellison einfahren lassen?«, fragte ich.
    Lichtstreifen schimmerten auf dem Wasserspiegel des Sees.
    »Ellison hat in der Kneipe an dem Abend, an dem er gestorben ist, irgendetwas erzählt. Irgendetwas, mit dem Sie nicht fertig geworden sind«, sagte ich.
    Sie zögerte einen Moment, bevor sie das Wort ergriff, als wollte sie die verquere Denkweise von jemand anderem eher sich selbst erklären als mir. »Er hat gesagt, die Sache