Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)
mit meinem Bruder täte ihm Leid. Wortwörtlich sagte er: ›Ich hab nicht gewusst, dass der Kleine kaltgemacht wird. Ich hab gedacht,die lassen ihn nach ’ner Weile laufen. Aber da drüben in der Gegend um Washington gibt’s echt kranke Typen.‹«
Ich drehte mich um. Ihre Augen wirkten wie verglühte Kohle, hart und leuchtend, voller Leid und unstillbarer Wut, von der sie vermutlich nie erlöst werden würde.
»Ellison hat Ihren kleiner Bruder gekidnappt?«, sagte ich.
»Er hat ihn an einen Abartigen verkauft. An der Ostküste. Ihn und ein paar andere.«
»Wen?«
»Weiß ich nicht. Lamar hat zusammenhangloses Zeug dahergeredet. Als er mit seiner Leier aufgehört hat, wusste er nicht mehr, was er gesagt hat.«
»Sind Sie ihm nach Hause gefolgt?«, fragte ich.
Sie stand von der Treppe auf, kauerte sich neben den Gebetskreis und rollte die roten und schwarzen Stoffstreifen auf, die sich bei der Birke schnitten.
»Ich dachte, ich könnte eine Antwort finden. Aber es gibt keine Antwort. Ich habe das Buch gelesen, von dem Sie mir erzählt haben. Black Elk Speaks. Sie kennen ja den Schluss. Für Indianer ist der Baum des Lebens tot«, sagte sie.
»Hören Sie mir mal zu, Sue Lynn. Ein guter Anwalt kann Sie da rauspauken. Ellison war ein elender Dreckskerl, der es nicht anders verdient hat.«
»Ich sage nichts mehr dazu.«
»Sie müssen aber. Doc wird Ihretwegen vor Gericht gestellt.«
»Da war noch jemand anders. Lassen Sie mich in Ruhe.«
»Sagen Sie das noch mal?«
»Ein Typ, der im Schatten stand. Draußen vor Lamars Hütte.«
»Was für ein Typ?«
»Ich bin nicht hin und hab mit ihm geplaudert. Aber er hätteLamar das Leben retten können, hat’s aber nicht gemacht. Schauen Sie mich nicht so an, Mr. Holland. Wer hat Lamar genauso gehasst wie ich? Sagen Sie Lucas Lebewohl von mir.«
»Doc?«, sagte ich.
Sie klemmte sich das Bündel aus roten und schwarzen Stoffstreifen unter den Arm, ging in die Hütte und verriegelte die Tür hinter sich.
Ich hielt bei einem Münztelefon am Highway und rief den Sheriff zu Hause an.
»Sue Lynn Big Medicine hat Ellison umgebracht«, sagte ich.
»Woher wissen Sie das?«
»Ich habe grade mit ihr geredet. Sie versteckt sich am Swan Lake.«
»Hat sie es Ihnen gestanden?«
»Nicht direkt.«
»Da wären wir mal wieder.«
»Nehmen Sie sie fest, Sheriff. Ich erkläre Ihnen den Weg.«
»Es ist Sonntag. Am Montag denke ich mal darüber nach. Genießen Sie bis dahin das Leben. Gönnen Sie uns allen eine Pause.«
Als ich zu Docs Haus zurückkam, rechten er und Maisey Mist aus der Scheune, schaufelten ihn auf eine Schubkarre und schafften ihn zu dem Komposthaufen neben seinem Gemüsegarten. Doc hatte seine langen Haare mit einem blau getupften Halstuch nach hinten gebunden, und der Schweiß lief ihm über die bloße Brust.
Ich ging hinaus zur Pferdekoppel, lehnte mich an die oberste Latte des Gatters und sah den beiden bei der Arbeit zu. Maisey lächelte mich ständig an, als wäre ich ein Faulpelz, weil ich ihnen nicht half. Was ich jetzt sagen musste, war mir zuwider.
»Hast du irgendwas auf dem Herzen?«, fragte Doc.
»Yeah, kannst du einen kleinen Spaziergang mit mir machen«, erwiderte ich.
»Maisey ist ein großes Mädchen«, sagte er.
»Es geht um was Persönliches, Doc.«
»Wir haben keine Geheimnisse voreinander«, sagte er.
»Sue Lynn Big Medicine hat Lamar Ellison abgefackelt. Als sie es getan hat, war jemand draußen vor Ellisons Hütte«, sagte ich.
Doc hielt inne, stützte die Hände auf den Rechen und musterte mich nachdenklich.
»Ohne Scheiß?«, sagte er.
»Genau das hat sie gesagt.«
»Vielleicht hilft uns das beim Prozess«, sagte Doc.
»Schon möglich. Warst du das?«, sagte ich.
Er wischte sich über die Nase und betrachtete einen Falken, der unweit von Lucas’ Zelt auf einem Baum saß.
»Ich habe diesen Witherspoon gesehen, als du weg warst. Da drüben unter den Bäumen«, sagte Doc.
»Bist du an diesem Abend umgekehrt und zu Ellisons Hütte gefahren?«, fragte ich.
»Ich nehme an, du musst diese Fragen stellen. Auch wenn sie einem alten Freund sauer aufstoßen. Tja, die Antwort lautet –«, sagte er.
Aber er konnte den Satz nicht zu Ende bringen. Maisey warf ihren Rechen in den Staub und kam mit geballten Fäusten auf mich zu. »Darauf gibst du keine Antwort«, sagte sie. Dann wandte sie sich voller Entrüstung an mich.
»Hör mal zu, Billy Bob Holland. Mein Vater ist ein Ehrenmann, und wehe dir, wenn du das auch nur einmal in
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