Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)

vor dem Tod.
    Seine Stimme klang mit einem Mal wie die einer Frau, als er das Wort ergriff. Ein Lächeln spielte um seinen Mund.
    »Vielleicht haben Sie Recht. Vielleicht bin ich an einem Punkt angelangt, wo ich nichts mehr zu verlieren habe. Bestellen Sie Maisey schöne Grüße von mir. Den Gefallen können Sie mir doch tun, nicht wahr?«, sagte er. Sein Atem traf meine Haut wie Trockeneisdampf.
    An diesem Abend führte ich Temple ins Zimorino’s Red Pies Over Montana aus, ein italienisches Restaurant an der Higgins Street. Um die Tische und an der Bar drängten sich Touristen und Leute von der Universität. Im hinteren Teil des Restaurants sah ich Amos Rackley, der Anzug und Krawatte trug, allein beim Essen sitzen.
    »Tut er dir Leid?«, sagte Temple.
    »Yeah, ich glaube schon.«
    »Wenn Lamar Ellison ein Spitzel war und die Bundesagenten wussten, wer Cleo Lonnigans Kind umgebracht hat, hat er sämtliche Gewissensbisse verdient, die er hat.«
    »Vielleicht.«
    »Da gibt’s kein Vielleicht«, sagte Temple.
    Ich wollte etwas sagen, ließ es aber bleiben.
    Wir waren mitten beim Essen, als an der Bar ein lauter Ruf ertönte. Auf dem Bildschirm des hoch oben an der Wand angebrachten Fernsehers war das Gesicht von Xavier Girard zu sehen.
    »Der Typ tritt bei CNN auf?«, sagte Temple.
    »Sieht so aus«, sagte ich und aß weiter.
    Aber Temple hatte den Blick weiter auf den Fernseher gerichtet, wo Xavier für sein neues Buch warb und von einem der bekanntesten Talkmaster des Landes interviewt wurde.
    »Girard redet über Nicki Molinari«, sagte Temple.
    Ich stand auf und ging zur Bar. Xavier hatte sein neues Buch neben sich liegen und erklärte gerade, woran er im Augenblick arbeitete.
    »Nicki ist wie eine Figur aus einem Elisabethanischen Theaterstück«, sagte er. »Er hat sich freiwillig zur Army und nach Vietnam gemeldet, um von seinem Vater wegzukommen. Aber er ist in einem gottverlassenen Außenposten in Laos gelandet, umgeben von einem Meer aus Mohnfeldern. Er ist aus einem Gefangenenlager der Pathet Lao entkommen, indem er seinen besten Freund in hundertfünfzig Meter Höhe von der Landekufe eines Hubschraubers geschubst hat. Er ist ein gepeinigter Mensch, Larry. Ich mag ihn, meine Frau ebenso, vielleicht ein bisschen zu sehr, um die Wahrheit zu sagen, aber ich habe ihn, was seine Gewalttätigkeit angeht, nie unterschätzt.«
    Der Talkmaster stützte das Kinn auf den Daumen und lächelte leicht.
    »Sind Sie sicher, dass Sie das alles sagen wollen?«, fragte er.
    »Oh, Nicki ist sozusagen ein Mitglied der Familie geworden. Er hat einen Haufen Geld in den neuen Film meiner Frau gesteckt.«
    »Ich habe gehört, dass Sie sich trennen wollen?«, sagte der Talkmaster.
    »Yeah, wer hätte das gedacht?«, sagte Xavier, lachte und schaute verschmitzt in die Kamera.
    Ich kehrte zum Tisch zurück und setzte mich wieder.
    »Ich frage mich, ob Molinari viel fernsieht«, sagte ich.
    Später schauten wir uns in dem renovierten Varieté am Fluss einen Film an. Als wir herauskamen, war die Sonne untergegangen, und der Mond stand wie ein gelber Planet über den Bitterroot Mountains. Wir stiegen über die eiserne Außentreppe zum Parkplatz unter der Higgins Street Bridge hinunter. Unterhalb des Kinos befand sich ein nobler Nachtclub, in dem ein Orchester bei offenen Glasschiebetüren Tanzmusik spielte.
    »Willst du reingehen?«, sagte Temple.
    »Nein«, sagte ich.
    »Warum nicht?«, fragte sie.
    »Weil es hier genauso schön ist.«
    Ich legte ihr einen Arm um die Taille und ergriff ihre rechte Hand, aber sie ließ meine Hand los, schlang mir beide Arme um den Hals und tanzte mit mir auf dem Parkplatz unter dem weiten Himmelszelt, umgeben von Bergen, die sich nur wenig verändert hatten, seit die Erde jung war, im Wind, der nach dem Fluss und all den Bäumen und Blumen roch, die an seinem Ufer wuchsen, zu einer Musik, die vor sechzig Jahren von Benny Goodman komponiert worden war. Etliche Collegekids sahen uns von der Brücke aus zu und applaudierten, als das Stück zu Ende war.
    Vielleicht ist die Erde irgendwo anders schöner und das Leben herrlicher. Aber ich bezweifle es ernstlich.
    Lucas kehrte in dieser Nacht nicht von seinem Auftritt in der Milltown Bar zurück. Kurz vor dem Morgengrauen hörte ich ein Auto auf der Wiese, schaute aus der Hintertür und sah, wie Lucas ausstieg und am Haus vorbei zu seinem Zelt ging. Ich schlüpfte in meine Jeans, die Stiefel und eine Nylonweste, setzte meinen Hut auf und ging im Morgengrauen