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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Der Gast beugt sich vor, um besser zu hören.
    »Mag sein«, sagt er, »dass du recht hast. Frag. Vielleicht kann ich antworten.«
    Das Licht der Kerzen wird schwächer, zwischen den großen Bäumen des Gartens geht der Wind der Morgenfrühe. Im Zimmer ist es fast dunkel.

17

    »Zwei Fragen sollst du beantworten«, sagt der General, und auch er beugt sich vor; er spricht flüsternd, vertraulich. »Zwei Fragen, die ich längst formuliert habe, in den vergangenen Jahrzehnten, als ich auf dich wartete. Zwei Fragen, die nur du beantworten kannst. Ich sehe schon, dass du meinst, ich wolle wissen, ob ich mich nicht täusche, ob du an jenem Morgen auf der Jagd tatsächlich die Absicht hattest, mich zu töten. War es nicht einfach ein Hirngespinst? Schließlich ist ja nichts passiert. Auch dem besten Jäger kann der Instinkt einen Streich spielen. Und du meinst, die zweite Frage laute so: Warst du Krisztinas Liebhaber? Hast du mich betrogen, wie man so sagt, und hat sie mich betrogen, im wahren, gewöhnlichen, kläglichen Sinn des Wortes? Nein, mein Freund, diese zwei Fragen interessieren mich nicht mehr. Du hast sie bereits beantwortet, die Zeit hat sie beantwortet, und auch Krisztina hat sie auf ihre Art beantwortet. Alle haben geantwortet, du, indem du am Tag nach der Jagd aus der Stadt geflohen bist, Fahnenflucht begangen hast, wie man früher sagte, als man noch an die wahre Bedeutung der Wörter glaubte. Ich frage es nicht, denn ich weiß mit Sicherheit, dass du mich an jenem Morgen töten wolltest. Ich klage dich nicht an; eher habe ich Mitleid mit dir. Es muß ein furchtbarer Augenblick sein, wenn sich im Leben eines Menschen die Heimsuchung offenbart, wenn ein Mensch das Gewehr anlegt, um den Menschen zu töten, der ihm nahesteht, dem er innerlich verbunden ist und den er aus irgendeinem Grund töten muß. Denn das war es, was mit dir in jenem Augenblick geschah. Du streitest es nicht ab? ... Du schweigst? ... Ich kann dein Gesicht in diesem Dämmer nicht sehen ... Es hat kaum noch Sinn, neue Kerzen bringen zu lassen, wir verstehen und erkennen einander auch so, jetzt, da der Augenblick gekommen ist, der Augenblick der Rache. Wir wollen es hinter uns bringen. Nie, keine Sekunde lang habe ich in den vergangenen Jahrzehnten daran gezweifelt, dass du mich töten wolltest, und immer habe ich dich dafür bemitleidet. Ich weiß so genau, was du spürtest, als hätte ich die Situation an deiner Stelle durchlebt, den schrecklichen Augenblick der Heimsuchung. Es war der Augenblick des Außer-sich-Seins, jener Moment in der Morgenfrühe, da die Mächte der Unterwelt noch über die Welt und die Herzen herrschen, da die Nacht ihre böse Seele aushaucht. Ein gefährlicher Augenblick. Ich kenne ihn. Das alles ist aber nur noch Material für einen Polizeirapport, siehst du ... Was soll ich mit dem Sachverhalt, wie er für ein Gerichtsverfahren gut wäre, während ich doch mit Herz und Verstand weiß ... Was soll ich mit dem schwülen Geheimnis einer Junggesellenwohnung, mit dem verrotteten Material eines Ehebruchs, mit alten, muffigen Alkovengeheimnissen, mit den intimen Erinnerungen von Toten und auf den Tod zustolpernden Greisen? Was für ein lächerlicher, armseliger Prozess wäre das, wenn ich dich jetzt am Ende des Lebens für Ehebruch und Mordversuch zur Rechenschaft ziehen wollte, wenn ich ein Geständnis aus dir herauszupressen suchte, während sogar das Gesetz die Tat oder die Fasttat als verjährt betrachten würde? ... Das alles wäre beschämend, deiner und meiner und der Erinnerung an unsere Jugend und Freundschaft unwürdig. Und vielleicht würde es dich erleichtern, alles zu erzählen, was es an Tatsachen zu erzählen gibt. Ich will aber nicht, dass du erleichtert bist«, sagt er ruhig. »Die Wahrheit will ich, und für mich besteht die Wahrheit nicht aus ein paar längst verjährten Fakten, nicht aus den heimlichen Leidenschaften und Irrungen eines toten, zu Staub gewordenen Frauenkörpers ... Was ist das noch für uns, für den Ehemann und den Liebhaber, da dieser Körper nicht mehr ist und wir Greise geworden sind; wir sprechen diese Dinge noch einmal durch, versuchen die Wahrheit herauszufinden, und dann gehen wir in den Tod, ich hier zu Hause, du irgendwo auf der Welt, bei London oder in den Tropen. Was zählen am Ende des Lebens Wahrheit und Falschheit, Betrug, Verrat, Mordversuch oder Mord, was zählt noch die Frage, wo, wann und wie oft mich meine Frau, meine große Liebe, die Hoffnung meines Lebens, mit

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