Die Götter 2. Das magische Zeichen
auf die Erinnerung an seinen Vater und das Bild seiner Mutter, die er nie gekannt hatte. Doch der Tod ließ auf sich warten. Stattdessen hörte Najel einen lauten Knall. Er riss die Augen auf.
Sein Angreifer lag leblos am Boden, von seinem Körper stieg Rauch auf. Neben ihm stand Lorilis, bleich und noch etwas wackelig auf den Beinen, aber aufrecht. Sie hatte die Hand in Richtung von Najels Angreifer ausgestreckt. Langsam wandte sie sich dem Jungen zu.
» Diese Magie … Ich weiß jetzt, wie das geht, glaube ich. «
Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Zweites Buch
Der Wissende
Die Rückkehr zum Festland erwies sich als schwere Prüfung. Immer wieder sahen sich die Erben furchtsam um. Jeden Moment mussten sie damit rechnen, dass das Schiff ihrer Feinde aus der Finsternis auftauchte und die Verfolgung aufnahm. Ihre Ruderboote waren viel zu langsam, um es mit einem solchen Großsegler aufzunehmen. Sollte er ihnen tatsächlich folgen, war ihre einzige Hoffnung, in der Dunkelheit unentdeckt zu bleiben.
Die Gefährten hatten keine Zeit gehabt, Nachforschungen über die Absichten ihrer Feinde anzustellen. Gleich nach dem Kampf hatten sie die Felswände erklommen und waren durch das Labyrinth gehastet. Sie wollten nur noch weg vom Grab des Dämons. Die Frage, ob sie einen oder zwei Gefangene mitnehmen sollten, um sie später zu befragen, war rasch geklärt. Die wenigen Angreifer, die noch lebten, waren besinnungslos oder schwer verletzt und wären ihnen auf der Flucht nur zur Last gefallen. Sie hatten schon genug Mühe mit dem Transport von Zejabel, die noch nicht wieder aufgewacht war. Außerdem hatten sie keine Zeit zu verlieren. Sie wussten nicht, wie viele Angreifer geflohen waren und ihren Anführern Bericht erstattet hatten. Womöglich war bereits ein neuer Trupp Kerle auf dem Weg zu ihnen – schlimmstenfalls angeführt von Sombre höchstpersönlich!
Also waren die Erben zurück zum Strand gehastet, hatten schleunigst ihre Boote ins Wasser geschoben und waren losgesegelt. Seitdem glitten sie durch die dunkle Nacht, die Angst im Nacken.
Auch den Gedanken, einen Angriff auf das feindliche Schiff zu unternehmen, hatten sie schnell wieder verworfen. Mit einer Bewusstlosen war dieses Wagnis nur schwer vorstellbar, und nachdem Guederic ihnen von den Worten seines Gegners berichtet hatte, war es ohnehin sinnlos. Vorausgesetzt, der Mann log nicht, befanden sich ihre Eltern nicht an Bord. Selbst ihre Feinde wussten nicht, was aus ihnen geworden war. Offenbar waren sie tatsächlich mit dem brennenden Kutter untergegangen. Doch das wollte niemand hören, schon gar nicht heute Nacht, nach der Entdeckung des leeren Grabs.
Abgesehen von Zejabel war Lorilis die Einzige, für die die Bootsfahrt durch die Nacht nicht ein einziges Grauen war. Das Mädchen befand sich in einem seltsamen Schwebezustand zwischen Wachen und Schlaf, und die Wirklichkeit drang nicht ganz zu ihr durch. Die jüngsten Ereignisse hatten sie stark mitgenommen. Nachdem der rätselhafte Blitz sie getroffen hatte, litt sie so furchtbare Schmerzen, dass sie glaubte zu sterben. Gleich darauf war sie in eine Art Zwischenwelt abgetaucht, die sie nicht mit Worten beschreiben konnte – dazu war das Erlebte noch zu frisch. Sie würde eine ganze Weile brauchen, um die Erfahrungen zu verarbeiten. Beim Aufwachen hatte sie jedenfalls das kristallklare Gefühl, anders zu sein. Es war, als wäre sie irgendwo angekommen. Als wäre sie bisher unwissend und blind durch dichten Nebel geirrt und als hätte sich der Schleier jetzt gelüftet.
Die neue Weltsicht war ihr nicht ganz unbekannt. Seit dem Kampf im Keller von Benelia hatte sie diese Klarheit bereits ein paarmal aufblitzen sehen. Bisher hatte sie den Zustand allerdings weder bewusst herbeiführen noch lang darin verweilen können. Doch jetzt war alles anders. Lorilis war überzeugt, dass die neue Wahrnehmung der Welt sie von nun an nicht mehr verlassen würde. Das war keine unangenehme Vorstellung – ganz im Gegenteil. Sie hatte den Eindruck, gewachsen zu sein, sich entwickelt zu haben, und zwar zum Guten. Die Welt erschien ihr weniger rätselhaft als zuvor, denn sie hatte jetzt ein intuitives Verständnis von ihren Kräften und spürte, was sich anzog und was sich abstieß. Der Schwindel, der ihr anfangs zu schaffen gemacht hatte, war verschwunden. Lorilis hatte sich auch an die Lawine neuer Sinneseindrücke gewöhnt, so wie ein Kind ganz natürlich lernt, sich aufzurichten und die ersten eigenen
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