Die Götter 2. Das magische Zeichen
waren sie dem Tod geweiht.
» Willst du denn Amanóns Aufzeichnungen nicht mehr holen? « , fragte er Damián.
Dieser seufzte leise, aber hörbar.
» Doch. Ich bin sicher, dass sie uns von großem Nutzen wären. Mein Vater hat nicht umsonst über zwanzig Jahre lang die Schriften der Etheker studiert. In seinen Aufzeichnungen gibt es sicher Hinweise darauf, warum die Götter nicht vollständig verschwunden sind, als das Jal zu existieren aufhörte, oder wofür das Symbol steht, das unsere Verfolger auf der Stirn tragen. Aber dazu müssten wir in das Hauptquartier der Grauen Legion gelangen. Nach dem, was wir auf der Insel erlebt haben, scheint mir das so gut wie unmöglich. Sobald wir auch nur in die Nähe der Stadt kämen, würden unsere Feinde über uns herfallen.
Josion nickte und überlegte fieberhaft, ob er den anderen einen Vorschlag machen sollte. Danach gäbe es kein Zurück mehr. Doch im Grunde hatte er keine Wahl. Es war das Einzige, was die Erben wirklich weiterbrachte – sein Spezialgebiet.
» Du bekommst deine Aufzeichnungen « , versprach er. » Ich helfe dir. Gleich morgen. «
Nach diesen Worten streckte er sich neben seiner Mutter im struppigen Gras aus und legte behutsam die Hand auf ihren Arm. Die anderen wagten nicht zu fragen, was er vorhatte – gleichwohl ahnten alle, dass sie bald wieder kämpfen müssten. Ein bisschen Schlaf konnte bis dahin nicht schaden.
Souanne wurde von den ersten Sonnenstrahlen geweckt. Es war ein sonderbares Gefühl. Sie war in der Stadt groß geworden und hatte bisher nur das Bett im Haus ihrer Mutter und später ihre Pritsche in den Unterkünften der Grauen Legion gekannt. Seit einer Dekade jedoch wurde sie jeden Morgen an einem anderen Ort wach – mit dem Gefühl, dass jeder Tag etwas wirklich Neues brachte.
An diesem Morgen war dieses Gefühl noch stärker als sonst.
Die Ereignisse der vergangenen Nacht hatten sie schlecht schlafen lassen. Erst nach mehreren Albträumen war sie zur Ruhe gekommen. Der Drang zu töten hingegen hatte spürbar nachgelassen – er war zwar noch da, aber sie schien ihn endlich beherrschen zu können. Ohne das Leid der letzten Nacht hätte sie das nicht geschafft. Sie verstand jetzt besser, was Guederic ihr hatte sagen wollen. Trotzdem war sie in einer wesentlichen Frage anderer Meinung: Der Trieb würde nicht einfach von selbst verschwinden. Er steckte tief in ihnen drin, womöglich für immer. Sie mussten versuchen, ihn so gut wie möglich zu verstehen, um ihn besser zügeln zu können.
Als Souanne die Augen aufschlug, überkam sie das Gefühl, ein neuer Mensch zu sein. Endlich frei, in gewisser Weise Herrin über ihre Triebe und ihr Geschick. Und dieses Gefühl war untrennbar mit dem Schicksal der Erben verbunden. Auch sie war jetzt eine Erbin von Ji, genau wie Zejabel, die sich vor über zwanzig Jahren der älteren Generation angeschlossen hatte.
Souannes erste Tat an diesem Morgen war ein besorgter Blick in Richtung der Zü, doch zu ihrer Überraschung war der Platz neben Josion leer. Der junge Mann wünschte ihr einen guten Morgen, freudlos zwar, aber auch nicht tieftraurig, woraus sie schloss, dass seine Mutter aufgewacht war. Im nächsten Moment sah sie Zejabel zehn Schritte weiter oben auf einer grasbewachsenen Düne sitzen. Die einstige Kahati war schon wieder angekleidet und bewaffnet. Ihr Blick ging in die Ferne, zur Insel Ji … Souanne versuchte vergeblich, sich vorzustellen, was Zejabel durch den Kopf ging. Alles war denkbar: Sie mochte Reue empfinden, weil sie nicht mitgekämpft hatte, sie mochte sich fragen, was ihre Feinde vorhatten, mochte den Tod ihres Mannes betrauern oder erleichtert sein, dass sie bisher überlebt hatte … Vermutlich war es eine Mischung aus allem. Wie auch immer, Hauptsache, es ging ihr besser. Nun konnten die Erben ihren Weg fortsetzen.
Mittlerweile hatte sich Souanne an das unstete Leben gewöhnt. Die Gefährten zogen durchs Land wie Nomaden, um nicht zu sagen, wie Abenteurer. Schon wenige Dezimen nach dem Aufwachen falteten sie ihre Decken zusammen, packten die Rucksäcke und zwangen schnell noch ein wenig Essen hinunter, um für den langen Ritt gewappnet zu sein. Plötzlich fiel Souanne auf, dass sie die Letzte war, die noch in ihre Decke gewickelt im Sand lag. Sie sprang auf und packte ihre Sachen in Rekordzeit zusammen – so wie sie es während ihrer Ausbildung zur Legionärin gelernt hatte.
Kaum eine Dezime später waren alle zur Abreise bereit. Sie hatten die Verbände der
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