Die Götter - Das Schicksal von Ji: Die Götter 4 - Roman (German Edition)
Außerdem wurde sie von schlimmen Albträumen geplagt. Sie wagte sich gar nicht vorzustellen, wie die Nacht ohne Zejabels Ratschläge verlaufen wäre.
Jetzt sah Lorilis zu der im Fieberschlaf dahindämmernden Zü hinüber. Auch die anderen schliefen noch– bis auf Josion. Er saß mit tiefen Ringen unter den Augen neben seiner Mutter. Offenbar hatte er die ganze Nacht an ihrer Seite gewacht, statt einen der anderen zu wecken und sich wenigstens für eine Weile ablösen zu lassen. Aber sicher würde niemand es wagen, ihm deswegen Vorwürfe zu machen – schließlich litt er schon genug.
Einem Impuls folgend stand Lorilis auf und ging zu Josion hinüber. Er begrüßte sie mit einem gezwungenen Lächeln, das offensichtlich nicht von Herzen kam. Lorilis verstand auf Anhieb, warum. Zejabels Gesicht war geschwollen, und mehrere rote Linien verliefen unter ihrer Haut wie Flüsse auf einer Landkarte. Der Rest ihres Körpers sah vermutlich nicht besser aus.
» Eine Vergiftung«, erklärte Josion leise. » Von der Riesenspinne, schätze ich. Besser gesagt, von ihren Stacheln.«
Lorilis riss erschrocken die Augen auf. Gewiss, Zejabel hatte eine tiefe Wunde davongetragen, aber mit so etwas hatte sie nicht gerechnet.
» Wird sie… Meinst du, sie…«
Josion zuckte leicht mit den Schultern. » Ich weiß es nicht. Dadurch, dass meine Mutter ihre Kindheit und Jugend in diesen Sümpfen verbracht hat, ist sie schon mehrmals mit dem Gift der Moroca in Berührung gekommen und bis zu einem gewissen Grad immun dagegen. Aber Zuïas Gift ist offenbar viel stärker als das der Schlangen. Immerhin leidet sie nicht an Atemnot, das ist ein gutes Zeichen. Vielleicht geht es ihr in ein paar Dekanten ja schon wieder besser.«
» Hast sie kein Gegenmittel in ihrem…«
Lorilis hatte den Satz noch nicht beendet, da schüttelte Josion schon den Kopf.
» Ich habe alles Mögliche ausprobiert. Außerdem sind die meisten ihrer Fläschchen leer.«
Das Eingeständnis seiner Hilflosigkeit kostete ihn offensichtlich große Überwindung. Josion hätte mit bloßen Händen gegen zehn Raubtiere gekämpft, um das Leben seiner Mutter zu retten, er hätte ein ganzes Gebirge bezwungen oder einen Ozean durchschwommen, aber gegen die Heimtücke des Gifts war er machtlos.
» Wir müssen sie in eine Stadt bringen«, sagte Lorilis. » Zu einem Heiler.«
Josion nickte widerstrebend. » Die nächste menschliche Siedlung liegt mitten in den Sümpfen«, erklärte er. » Es ist das Dorf in der Nähe von Zuïas ehemaligem Palast.«
Diesmal war es an Lorilis, grimmig zu nicken. Jetzt verstand sie auch, warum Josion so unglücklich aussah. Wenn seine Mutter nicht von selbst gesund wurde, würde er sie an einen Ort bringen müssen, wo sie als Hochverräterin galt. Es stand nicht gut um ihre Überlebenschancen.
Angesichts der Ausweglosigkeit ihrer Lage wurde Lorilis schwer ums Herz. Die Ereignisse der vergangenen Tage waren schlimm genug gewesen. Warum musste noch ein weiteres Unglück hinzukommen? Bei dem Gedanken, welches Opfer Zejabel gebracht hatte, um ihr altes Leben hinter sich zu lassen, und auf welch grausame Weise das Schicksal sie zurück ins Lus’an geführt hatte, nur um sie hier abermals leiden zu lassen, schnürte sich Lorilis die Kehle zu. Sie verzog entschuldigend das Gesicht und ging davon, um nicht vor Josions Augen in Tränen auszubrechen. Sie wollte ihn nicht noch mehr belasten.
Besonders weit kam sie allerdings nicht. Ihr Nachtlager war ringsum von Sümpfen umgeben, in denen die berüchtigte Moroca-Schlange heimisch war. So blieb Lorilis in der Nähe, schlenderte hierhin und dorthin und kämpfte gegen den Kloß in ihrem Hals an. Irgendwann stand sie vor der ethekischen Pforte. Im Morgennebel war das überwucherte Bauwerk kaum besser zu sehen als in der Nacht. Ohne Nols Leiche, die in der Hängematte aus Lianen zwischen den beiden Pfeilern ruhte, wäre die Pforte mit ihrer Umgebung verschmolzen.
Um auf andere Gedanken zu kommen, begann Lorilis, das rätselhafte Bauwerk näher zu erkunden. Mit ihrem Dolch löste sie mehrere Efeuranken vom Stein und legte zwei Reihen ethekischer Schriftzeichen frei. Sie betrachtete die Symbole ausgiebig. Es grenzte fast an ein Wunder, dass sie die Jahrhunderte überdauert hatten. Nach einer Weile konnte Lorilis der Versuchung, ihre magischen Kräfte auszuprobieren, nicht mehr widerstehen.
Sie konzentrierte sich und öffnete ihre Wahrnehmung, so wie sie es mittlerweile gewohnt war. Fast konnte sie spüren, wie
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