Die Götter - Das Schicksal von Ji: Die Götter 4 - Roman (German Edition)
sich ihre Augenfarbe veränderte. Nun ja, zumindest konnte sie es sich vorstellen. Es war kein unangenehmes Gefühl: Es war nicht anders, als ein Fernglas scharf zu stellen. Zejabel hatte erzählt, dass ihr Großvater Yan das Phänomen erst vor Kurzem entdeckt hatte. Deshalb hatte die Zü es bei Lorilis auch auf Anhieb erkannt.
Wenig später sah das Mädchen sämtliche Energieströme, die das Universum zusammenhielten und für sein Gleichgewicht sorgten. Auf der Insel wimmelte es nur so von winzigen Lebewesen, und so nahm sie ein wildes Gewirr aus gleißend hellen Strahlen wahr. Lorilis wurde von dem Licht geblendet und schwächte ihre magische Sehkraft ab, bis sie ein erträgliches Maß erreichte. Dann wandte sie sich den Schriftzeichen zu, die in die Pforte eingemeißelt waren.
Die Anomalie stach ihr sogleich ins Auge. Die Schriftzeichen verhielten sich genauso wie die der Pforte, die von den Ehrwürdigen in dem Tal hoch oben im Gebirge errichtet worden war: Sie zogen die Energieströme an, bündelten sie und schienen sie zu verschlucken. Offenbar leiteten sie die gesamte Kraft der Umgebung an einen unbekannten Ort um. Noch waren wesentlich weniger Lichtstrahlen betroffen als im Tal, woraus Lorilis schloss, dass das Phänomen hier auf der Insel erst vor Kurzem begonnen hatte. Doch obgleich die Anziehungskraft schwach war, war sie nicht zu übersehen. Also traf Damiáns Vermutung zu. Bald würden sich alle Pforten auf diese Weise verhalten und das Universum aus dem Gleichgewicht bringen.
Die Gefährten wussten seit einiger Zeit, dass die Welt immer mehr aus den Fugen geriet. Doch jedes Mal, wenn sie auf einen weiteren Beweis stießen, schien ihre Aufgabe schwerer zu bewältigen. Zu den Fragen, die Damián am Abend zuvor aufgezählt hatte, kam also noch folgende hinzu: Konnten sie den Untergang der Welt verhindern? Selbst wenn die Erben Saat besiegten, was ohnehin höchst unwahrscheinlich war, hieß das noch lange nicht, dass sie dadurch die natürliche Ordnung der Welt wiederherstellen würden.
Um nicht abermals in Schwermut zu versinken, konzentrierte sich Lorilis rasch wieder auf die magischen Schriftzeichen. Sie wusste selbst nicht genau, was sie sich davon erhoffte, aber es war immer noch besser, als düsteren Gedanken nachzuhängen. Warum versuchte sie nicht, den Sinn des ethekischen Alphabets zu entschlüsseln? Nicht, dass sie es übersetzen wollte. Die Wissenschaft von der Sprache gehörte nicht zu ihren Stärken, das war Damiáns und vor allem Amanóns Gebiet. Aber vielleicht konnte Lorilis etwas Interessantes herausfinden, wenn sie untersuchte, wie die Schriftzeichen die Energiestrahlen bündelten, in welchem Zusammenhang sie zueinander standen und wie sie ihre Kräfte gegenseitig verstärkten.
Zu ihrer großen Überraschung hatte sie bald Erfolg. Sie musste sich eingestehen, dass ihr Noviziat im Matriarchat von Kaul daran nicht ganz unschuldig war. Bei den Ratsfrauen hatte sie das nötige Rüstzeug erlernt: Sie war in den Wissenschaften und im Handwerk unterrichtet worden, und so erschloss sich ihr die Logik der Schriftzeichen recht schnell, zumindest in groben Zügen. Ohne ihre magischen Kräfte hätte sie das Rätsel der Schriftzeichen niemals lösen können, aber dank ihrer Wahrnehmung der Energieströme gelang es Lorilis, ihrem Zusammenspiel auf die Spur zu kommen.
Lorilis war beeindruckt von der Wirkung des ethekischen Alphabets, und jetzt verstand sie nur zu gut, warum die Ehrwürdigen der Versuchung erlegen waren, von den Schriftzeichen Gebrauch zu machen. Die Symbole verstärkten die magischen Kräfte um ein Vielfaches und konnten so viel Energie zusammenballen, dass ein Magier mit ihrer Hilfe Unvorstellbares vollbringen konnte. Die erste ethekische Pforte war demnach nicht als Tor zu einer anderen Welt errichtet worden, sondern als gigantisches Brennglas, das die Energiestrahlen der Umgebung bündelte.
Lorilis spielte mit dem Gedanken, die Wirkung der Schriftzeichen auszuprobieren und sich so das verlorene Wissen der Ehrwürdigen anzueignen. Jeder mit einem gewissen Forschungsdrang wäre neugierig auf ihre Kraft gewesen. Lorilis nahm sich vor, irgendwann einen solchen Versuch zu unternehmen, aber nicht jetzt gleich. Sie würde warten, bis die Umstände besser waren, und natürlich würde sie äußerst vorsichtig sein. Auf keinen Fall durfte sie den Fehler der Ehrwürdigen wiederholen, denn diese hatten die Welt in ihrem Größenwahn fast zerstört.
Lorilis beschloss, ihre Vermutung nur
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