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Die Götter der Flusswelt - Flusswelt-Zyklus 5

Die Götter der Flusswelt - Flusswelt-Zyklus 5

Titel: Die Götter der Flusswelt - Flusswelt-Zyklus 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Jose Farmer
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den Augenhöhlen liegenden Wülste, die dicken Brauen, den gejagten, hungrigen Ausdruck seines Blickes, das sich vorschiebende Kinn, die hohen Wangenknochen. Die Narbe, die von einem Somalispeer zurückgeblieben war, war deutlich auszumachen; Leighton hatte darauf bestanden, sie zu zeigen, und Burton hatte keinen Einwand gehabt. Eine Narbe war, hatte man sie sich ehrenhaft eingehandelt, in gewisser Hinsicht ein Orden, und er, den man mit echten Orden hätte schmücken müssen, war übergangen worden.
     »Zum Teil deine eigene Schuld«, hatte Frigate gesagt. »Ich kann es verstehen und habe auch Mitgefühl dabei. Ich habe mich auch selbst getäuscht, ich tue es immer noch.«
     »>Ehre, nicht Ehrungen< war das Familienmotto«, hatte Burton gesagt.
     Neben Leightons Porträt befand sich ein Foto seiner Frau Isabel, 1869 entstanden, als sie achtunddreißig Jahre alt gewesen war. Sie sah drall, königlich und stattlich aus. Wie eine freundliche, aber beherrschende Mutter, dachte er. Ein paar Seiten zuvor gab es ein Porträt von ihr, gemalt von dem französischen Künstler Louis Desanges (aus dem Jahr 1861, als sie Burton geheiratet hatte). Sie sah jung, hübsch und optimistisch aus. Darunter befand sich das Bild, das Desanges zur gleichen Zeit von Burton gemalt hatte. Sie war dreißig; er vierzig. Sein Schnurrbart fiel fast bis auf die Schulterknochen herab, und er sah in der Tat finster und ungestüm aus. Und wie dick seine Lippen waren. Aus denen gewisse Biographen - und andere - auf eine übermäßig empfindliche Natur geschlossen hatten. Wie dünn, affektiert und spitz Isabels Lippen waren. Ein Makel eines ansonsten perfekten, wunderschönen Gesichts. Dünne Lippen. Dicke Lippen. Liebe, Zärtlichkeit und Frohsinn gegen Düsterkeit, Ehrgeiz und Pessimismus. Isabel blond; er dunkel.
     Er blätterte um, bis er auf ein Foto stieß, das im Jahre 1890 von ihm im Alter von neunundsechzig Jahren gemacht worden war, und auf ein weiteres von ihm und Isabel aus dem gleichen Jahr, vom gleichen Ort, Triest. Es war von seinem Leibarzt Dr. Baker unter einem Baum im Hinterhof gemacht worden. Burton saß auf einem Stuhl, der auf dem Foto nicht sichtbar war, die eine Hand auf dem Knauf seines eisernen Spazierstocks, die andere über das rechte Handgelenk gelegt. Die Finger sahen wie die eines Skelettes aus: die Hand des Todes höchstpersönlich. Er trug einen großen, grauen Zylinder, einen steifen, weißen Kragen und einen grauen Morgenmantel. Die Augen in dem hageren Gesicht sahen wie die eines sterbenden Gefangenen aus. Der er in gewissem Sinne auch gewesen war. Von der Wildheit, die in den früheren Bildern deutlich wurde, war wenig übriggeblieben.
     Neben ihm: Lady Isabel. Sie schaute auf ihn hinab, hielt eine weiße Hand hoch, einen Finger ausgestreckt, als wolle sie ihn tadeln. Fett, fett, fett. Während er einschrumpfte, ging sie in die Breite. Und doch wußte sie laut Frigate, daß sie sterben mußte, die Saat des Todes in sich trug: Krebs. Sie hatte ihm kein Wort davon gesagt; sie wollte ihn nicht aufregen.
     In ihrem schwarzen Kleid und dem Hut sah sie aus wie eine Nonne; wie eine Nonne, die auch Krankenschwester war. Freundlich, aber bestimmt. Keinen Unsinn.
     Er verglich das jugendliche Gesicht im Spiegel mit dem auf dem Foto. Diese alten, alten Augen. Eingesunken, verzweifelnd, verloren. Die Augen eines Gefangenen, der keine Hoffnung auf Flucht oder Begnadigung hatte. Monde in der Verdunkelung.
     Er erinnerte sich an Triest im September, den letzten Monat seines Lebens. Er hatte auf dem Markt Vögel in Käfigen gekauft, sie mit nach Hause genommen und freigelassen. Und wie er eines Tages vor einem Affen in einem Käfig stehengeblieben war. »Welches Verbrechen hast du in einer anderen Welt begangen, Jocko, daß man dich hier einsperrt, quält und durch das Fegefeuer gehen läßt?« Und indem er den Kopf geschüttelt hatte und fortgegangen war, hatte er gemurmelt: »Ich frage mich, was er getan hat. Ich frage mich, was er getan hat.«
     Diese Welt, die Flußwelt, war ein Fegefeuer, wenn das, was die Ethiker sagten, zutraf. Das Fegefeuer war die schwerste der drei Nachwelten, Himmel, Fegefeuer und Hölle. Im Himmel war man frei und ekstatisch, und man wußte, daß die Zukunft immer gut sein würde. In der Hölle litt man zwar, wußte aber ein für allemal, wie die Zukunft aussehen würde. Man brauchte nicht nach der Freiheit zu streben; man wußte, daß man sie nie erreichen würde. Aber im Fegefeuer wußte man,

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