Die Götter - Die Macht der Dunkelheit - Grimbert, P: Götter - Die Macht der Dunkelheit - Les Gardiens de Ji, Tome 3: Le deuil écarlate
meiner Rolle als einzige Tochter rundum wohl. Deshalb fing ich an zu schmollen und hörte mehrere Monde lang nicht mehr damit auf. Manchmal wäre ich schon gern fröhlicher gewesen, aber ich konnte nicht anders. Heuchelei habe ich schon immer verabscheut. Wer seinen wahren Gefühlen zum Trotz handelt, dem wird das früher oder später zum Verhängnis. So lief ich also mit griesgrämiger Miene herum, während meine Eltern vergeblich versuchten, mir die anstehende Geburt als frohes Ereignis anzupreisen.
Ich konnte daran nichts Erfreuliches finden. Vater und Mutter würden mir künftig nur noch halb so viel Aufmerksamkeit und Zeit widmen. Vielleicht sogar noch weniger, wenn man dem Gerede der Bediensteten Glauben schenkte, die über nichts anderes mehr sprachen als über das Ungeborene. Je mehr Dekaden verstrichen und je stärker sich der Bauch der Königin wölbte, desto mehr Raum nahm der künftige zweite Thronerbe der B’ree in meinem Leben ein. Dabei hatte er noch nicht einmal das Licht der Welt erblickt.
Die meisten Gespräche, die ich belauschte, drehten sich um den neuen Prinzen beziehungsweise um die neue Prinzessin, je nachdem, welchem Lager die Abergläubischen angehörten. Jeder schien eine unfehlbare Methode zu kennen, um das Geschlecht des Kindes zu bestimmen. Die Themenvielfalt des Tratsches reichte von der Farbe der Vorhänge an der Wiege bis zum Namen des Ungeborenen. Doch wer die Unverschämtheit besaß, mich danach zu fragen, bekam meinen Zorn zu spüren, und den ganz Dreisten drohte ich, sie aus dem Palast jagen zu lassen. Mein Vater hätte sicherlich etwas dagegen gehabt, aber so erreichte ich wenigstens, dass man mich nicht weiter belästigte.
Ich sprach es zwar nie aus, aber am meisten fürchtete ich, das Baby würde ein Junge werden, denn ein Bruder würde mir Konkurrenz machen. Ich war stark, eine gute Reiterin und geschickt im Kampf, aber würde all dies nicht verblassen vor dem Stolz, den mein Vater bei der Geburt eines Sohnes empfände? Ich war und blieb die Thronfolgerin, so war es in den Gesetzen und der Tradition von Wallatt verankert. Doch das würde mir wenig nützen, wenn es Ke’b’ree einfiele, seinen Sohn als Befehlshaber unserer Heere einzusetzen.
Kein Lächeln und kein zärtliches Wort meiner Eltern konnten meine Befürchtungen zerstreuen. Als ich meine Verdrossenheit schließlich doch überwand, geschah dies aus bloßer Resignation: Ganz gleich, was geschah, ich konnte ohnehin nichts daran ändern. Außerdem konnte ich nicht darauf hoffen, den ersten Platz im Herzen meiner Eltern zu behaupten, wenn ich weiterhin so missmutig war. Also benahm ich mich wieder so wie vor der Verkündung der Schwangerschaft und begnügte mich damit, leicht das Gesicht zu verziehen, wann immer man von dem Ungeborenen sprach.
Die letzten Monde vor der Geburt waren sogar recht schön. Mama strahlte über das ganze Gesicht – ich hatte sie noch nie so glücklich gesehen –, und Vater schien seine Frau mehr zu lieben denn je. Er nahm jede Gelegenheit wahr, sie und mich in den Arm zu nehmen und zu küssen. Gegen meinen Willen musste ich eingestehen, dass ich diese kostbaren Augenblicke dem Ungeborenen zu verdanken hatte und dass seine Ankunft vielleicht doch nicht so schlimm werden würde wie befürchtet.
An einem Wintermorgen – der Palast und ganz Wallos lagen unter einer tiefen Schneedecke – setzten bei meiner Mutter die Wehen ein.
Am Abend war sie tot.
Der König weinte und drückte Najel an sein Herz.
Das folgende Jahr verging wie in einem Nebelschleier. Es war, als hätte sich der Schneesturm, der an jenem Tag über uns hereingebrochen war, auch nach vier Jahreszeiten noch nicht gelegt. Ich spürte nichts als Wut. Die Trauer, die ich hätte empfinden sollen, bekämpfte ich, indem ich mich in kräftezehrende Übungen stürzte, die meinem Körper jegliche Energie raubten. Nur so konnte ich nachts einschlafen. Doch selbst die körperliche Erschöpfung brachte nicht immer Erleichterung. Oft wälzte ich mich, von schlimmen Alpträumen geplagt, im Bett herum und verzweifelte an meinem grausamen Schicksal.
Mein Vater war nicht mehr derselbe wie zuvor. Sein Kummer war unermesslich – aber schon nach ein paar Tagen weinte er fast nicht mehr. Trotzdem hatten alle den Eindruck, dass die Bürde, die er trug, für einen Menschen allein zu schwer war. Dadurch gewann der Herrscher von Wallatt noch mehr Ansehen. Nur ein Mensch von außergewöhnlicher Stärke und Weisheit könne solch großen Schmerz
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