Zwillingsblut (German Edition)
1
Dunkelheit klopfte in Sofias Schläfen und hinterließ weiße Schlieren in ihren Gedanken. Für einen Moment glaubte sie zu schlafen und die Augen geschlossen zu haben. Orientierungslos setzte sie sich auf und prallte mit ungebremster Heftigkeit gegen einen Widerstand.
Gleißende Schmerzen schossen aus den Schlieren und explodierten in ihrer Nase und hinter ihrer Stirn.
Verwirrt vor Schmerzen und Orientierungslosigkeit wollte sie an ihre Nase greifen, um das Blut zu stoppen, das nach dem Stoß begonnen hatte zu fließen. Doch auch ihre Ellbogen und Hände wurden unsanft von einem Hindernis gestoppt.
Verwirrt kämpfte Sofia gegen die Enge an. Sie bekam jedoch ihre Hand nicht frei, sie nicht weit genug hoch. Sofia begriff, dass sie eingeschlossen war. Schlagartig setzte die Panik ein.
Sie schlug um sich, traf in jede Richtung Widerstände, knallte mit dem Kopf an ein Hindernis, mit den Füßen, oben unten rechts links, nur Enge und Finsternis, beides massiv und endgültig, ohne Ausweg.
Ihr Schrei gellte laut und fremd in ihren Ohren und für einen Augenblick glaubte sie, er käme von einer anderen Person.
Sofia stoppte zitternd vor Angst und Anstrengung ihre Bewegungen und horchte. Nichts, nur ihre Tränen und ihre laufende Nase. Ob es Blut oder Rotze war, konnte sie nicht feststellen, versuchte aber ihre Beherrschung wieder zu finden, ihr Weinen zu kontrollieren und ihre Atmung zu beruhigen.
Wenn sie doch nur die Hände zum Gesicht bekommen könnte!
Sie versuchte ihre Augen zur Funktion in der Dunkelheit zu zwingen, obwohl ihr Verstand ihr immer nur ein Wort zuflüsterte:
Sarg
.
Erneut schluchzte sie auf, konnte sich aber stoppen, bevor der Laut in Hysterie überging.
Sofia schloss die Augen und versuchte nachzudenken.
Bin ich tot?
Für einen verwirrenden Moment konnte sie keine Regung ihres Körpers spüren, keinen Herzschlag, nicht das Rauschen des Blutes in ihren Ohren und nicht das Pulsieren in ihren Adern.
Dann atmete sie erleichtert ein, als alles drei schlagartig zusammen mit dem Zwang zum Atmen einsetzte.
Definitiv nicht!
Wo bin ich? Wie bin ich an diesen Ort gekommen? Und warum?
Sie wusste es nicht, konnte sich nicht konzentrieren, zu viele Fragen prasselten auf einmal auf sie ein, zu oft wiederholte ihr Verstand das Wort:
Sarg
und zu sehr schmerzten ihre Glieder und Gelenke von dem Versuch sich zu befreien. Sie konnte förmlich spüren, wie das Blut blaue Flecke bildete und in den Stellen, wo sie sich gestoßen hatte, pulsierte.
Entschlossen verdrängte Sofia die Gedanken an Sarg und Blut und tastete langsam mit ihrer Hand nach oben. Und nach rechts und links.
Ihr Gefängnis musste tatsächlich ein Sarg sein, die Größe stimmte in etwa. Sofia gab einen frustrierten Laut von sich. Zumindest für sie, sie passte exakt hinein.
Wie lange wird die Luft reichen?
Mühsam zwängte die junge Frau ihre Hand hoch, zu ihrem Gesicht und berührte die Nase. Die plötzlichen Schmerzen ließen sie das Bewusstsein verlieren.
Ihr eigener Schrei weckte sie aus dem kurzen, verworrenen Traum von Blut und Dunkelheit und Erregung und versetzte sie schlagartig in die Realität zurück. Ohne einen Übergang zwischen Schlafen und Wachen fiel ihr augenblicklich ein, wo sie sich befand.
Es war warm und stickig, Schweiß stand ihr auf der Stirn, sie bekam keine Luft durch ihre Nase.
Wie lange bin ich ohnmächtig gewesen?
Sofia kämpfte die neuerlich aufkeimende Panik nieder. Die Luft war unerträglich abgestanden und ihre Lunge schmerzte bereits bei jedem Atemzug. Bald würde es vorbei sein!
Dieses Mal konnte Sofia die Tränen nicht zurückhalten, als es ihr abermals nicht gelang den Sargdeckel mit den Händen aufzustemmen.
Sie dachte an ihre Schwester Melanie. Beinahe konnte sie sie in ihrer zu weiten Bluejeans und ihrem rotem Lieblingsrollkragenpulli, die blonden langen Haare offen und vom Wind zerzaust, oben an einem Erdloch stehen sehen; sich selbst in dem geschlossenen Sarg, rufend und weinend. Doch niemand hörte sie, nur die Erde.
Sofia schüttelte den Kopf.
Nein, nein und nochmals nein!
So würde sie nicht enden, durfte sie nicht enden. Das war nicht fair und nicht vorgesehen!
Vorsichtig und langsam versuchte sie sich umzudrehen, ignorierte das sie sichbei der Bewegung Strähnen ihres langen Haares ausriss, rutschte Stückchen für Stückchen auf die Seite und quetschte sich auf den Bauch.
Dann schob sie ihre Oberschenkel unter sich und begann einen Katzenbuckel zu machen.
Nichts tat sich.
Sofia
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