Die Götter von Freistatt
und grübelte über all das nach, was er erfahren hatte. Dann stand er auf, ging hin und her, kaute an seiner vollen Unterlippe und dachte nach. Sein Herz, seine Seele, seine Sehnsucht sprachen unverhüllt aus seinen Augen. Deshalb war es gut, daß niemand ihn jetzt sehen konnte, denn andere sollten ihn nur so sehen, wie er sich auch darstellen wollte.
Jetzt brauche ich alles bloß Kitt ... Kadakithis melden, dachte er. Dem Prinz-Statthalter, der sein Amt hier angetreten hatte, indem er öffentlich erklärte, er würde für Recht und Ordnung und die Sicherheit der Bürger sorgen, und der unter anderen einen Klauer Eidschwörer hatte aufhängen lassen, Hanses Lehrmeister (und Vaterfigur?). Der P-S mochte Tempus (ebenfalls eine Vaterfigur für Hanse?) nicht.
Das war alles, was Hanse zu tun brauchte. Nur zu melden, was er erfahren hatte und jetzt vermutete. Der Rest war Kadakithis zu überlassen. Er hatte die Macht und die Mittel; die Männer und die Schwerter; das Savankh.
Weiter reichte Hanses Verpflichtung gegenüber Kadakithis und Tempus nicht. Wenn er überhaupt eine Verpflichtung gegenüber diesem krrfschnupfenden Burschen hatte.
Und - angenommen, Seine Rankanische Hoheit, Kadakithis, Prinz-Statthalter, unternahm nichts?
Oder er erteilte den Auftrag seinen Höllenhunden, diesem liebenswerten Razkuli und dem nicht minder reizenden Zalbar, und die beiden gaben nur vor, einzuschreiten? Beschützten Rankaner nicht die Ihrigen? Führten Soldaten Befehle nicht gehorsam aus? Verfügten diese diebischen Oberherren nicht über Ehre?
Wenn nicht, würde Hanses Weltbild arg ins Wanken geraten. Obgleich man es bei ihm, wie er sich gab, nicht vermutet hätte, erwartete er doch Ver trauen und so etwas wie Ordnung von seiner Umwelt. Und Vertrauenswürdigkeit? Hanse verzog das Gesicht und schaute sich fast wild um: ein Tier in einem verhaßten Käfig, aus dem es nicht entkommen konnte, das aber auch fürchtete, was jenseits seiner Gitterstäbe lag. Selbst ein Nachtschatten wollte nicht in einer schrägen, schwankenden Welt leben. Wenn es wirklich stimmte, daß Zufall und Chaos die Welt regierten, wollte er es zumindest nicht wissen.
Obwohl er dagegen angekämpft hatte, vertraute er Tempus. Er war auch gezwungen gewesen, Kadakithis zu trauen, weil ihm unten im Brunnenschacht am Adlerschnabel nichts anderes übriggeblieben war. Später war ihm widerwillig und ungläubig klar geworden, daß dem Rankaner wirklich zu trauen war. Das rüttelte an dem Schutzwall der Menschenverachtung, den er um sich aufgebaut hatte, und es fiel ihm schwer, das zuzugeben. Aber war Zynismus nicht lediglich die Maske eines Idealisten, der Höheres, der Vollkommenheit suchte? Der einen Beweis wollte, daß seine Einstellung falsch war?
Es ist wirklich gescheiter, bloß zu melden, was ich weiß, und es dabei zu belassen und mich wieder um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern, sagte er sich. Tempus steht ohnedies bereits in meiner Schuld und er hat versprochen, mir einen Dienst zu erweisen.
Nachtschatten machte sich daran, alles, was er für eine Nacht der Heimlichkeiten, des Stehlens und Einbrechens brauchte, herzurichten. Und doch wußte er bereits, daß er in dieser Nacht nicht seinem üblichen Gewerbe nachgehen würde.
Du bist ein Narr, Hanse, sagte er sich mit einer Verwünschung im Namen Shalpas. Trotzdem fuhr er mit seinen Vorbereitungen fort.
An der Tür blieb er blinzelnd stehen. Stirnrunzelnd schaute er sich um. Erst jetzt erinnerte er sich an Mignureals Blick und ihre seltsamen Worte vor zwei Stunden. Er hatte nichts damit anzufangen gewußt. »O Hanse«, hatte sie eindringlich gesagt und ihr junges Gesicht hatte so ernst gewirkt. »Hanse - nimm das braune Gefäß mit den Kreuzen mit.«
»Wohin mit?«
Aber sie war eilig davongelaufen, da ihre Mutter sie mit drohender Stimme gerufen hatte.
Jetzt starrte Hanse auf den braunen Krug, in den zwei X eingebrannt waren. Mignureal hatte ihn nie gesehen, konnte ihn nicht kennen. Trotzdem hatte sie ohne Zweifel ihn gemeint. Sie war Mondblumes Tochter ... Beim Großen Schatten! Sie mußte die Kräfte ihrer Mutter geerbt haben!
Hanse ging zum Tisch, um den gut verkorkten Steingutkrug, der kaum größer als die Feldflasche eines Soldaten war, aufzuheben. Warum, Mignureal? Warum, großer Ils?
Vor Monaten war er zu diesem Krug gekommen, mühelos und schnell, ohne zu wissen, was er enthielt. Nein, Mignureal konnte nichts von ihm wissen, auch nicht von seinem Inhalt, dem ungelöschten Kalk.
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