Die Götter von Freistatt
würde. »Normalerweise würde ich nur ein oder zwei grobe Skizzen machen«, erklärte er. »Doch dies muß so vollkommen sein, daß Lord Molin sich vorstellen kann, wie das fertige Bild aussehen wird, also benutze ich Farbe ...«
Er trat ein paar Schritte zurück und sah das Bild, wie es sein sollte: die frische Schönheit des Mädchens im Sonnenschein, das weit über den Rücken wallende Haar, und die bunten Blumen in den Händen. Er griff nach dem Pinsel, atmete tief durch und konzentrierte sich auf das Bild des Mädchens.
Er hörte das Murmeln Gillas und ihrer mittleren Tochter nicht mehr, die am anderen Ende des Raums das Mittagessen zuzubereiten begannen. Er sah und hörte auch nicht, als einer seiner Söhne hereinstürmte, von seiner Mutter zum Schweigen gemahnt und zum Spielen wieder hinausgeschickt wurde. Alles glitt an ihm ab, während sich die Spannung und Verkrampfung der vergangenen Tage löste.
Endlich war er wieder er selbst, überzeugt, daß seine Hand dem Auge gehorchte, daß beide sich nach dem richteten, was seine Seele wahrnahm. Er wußte nun, daß Enas Yorls wahres Geschenk nicht die Aufträge waren, sondern sein wiedergewonnenes Selbstvertrauen. Lalo tauchte den Pinsel in die Farbe und fing an zu arbeiten.
Die Sonnenstrahlen waren über die Hälfte des Bodens gewandert, als Zorra sich plötzlich aufrichtete und die Blumen fallen ließ.
»Hoffentlich ist es die Mühe wenigstens wert!« nörgelte sie. »Mein Rücken schmerzt, und die Arme fallen mir ab!« Sie lockerte die Schultern, beugte sich vor und zurück, um sich zu entspannen.
Lalo blinzelte, versuchte in die Gegenwart zurückzufinden. »Nein, noch nicht - es ist noch nicht fertig ...«, wehrte er ab, doch Zorra kam bereits auf ihn zu.
»Was soll das heißen? Ich werde doch mein eigenes Bild ansehen dürfen, oder nicht?« Mitten im Schritt hielt sie inne und starrte auf die Leinwand. Lalos Blick folgte dem ihren. Erschrocken entglitt ihm der Pinsel.
Das Gesicht, das ihm von der Staffelei entgegenschaute, hatte habgierige schmale Augen und gefletschte Zähne wie ein Raubtier. Das rote Haar flammte wie ein Fuchsschwanz, und die sanft gerundeten Gliedmaßen waren so verzerrt, daß es aussah, als wäre das Wesen sprungbereit. Lalo schauderte. Er blickte von dem schönen Mädchen zu dem Bild und zurück.
»Du von Maden zerfressener Hurensohn, was hast du aus mir gemacht?« fuhr sie ihn wild an, dann drehte sie sich wieder zu dem Bild um, griff nach dem Spachtel und stach damit auf die Leinwand ein. »Das bin nicht ich! Das ist grauenvoll! Du haßt die Frauen, nicht wahr? Meinen Vater haßt du auch, aber warte nur! Wenn er mit dir fertig ist, wirst du zusehen müssen, daß die Abwinder dich aufnehmen!«
Der Fußboden erbebte, als Gilla auf sie zustürmte. Lalo taumelte zurück, denn sie drängte sich zwischen ihn und das halbnackte Mädchen, sie drückte Zorras Handgelenk, bis der Spachtel auf den Boden klapperte.
»Zieh dich an, du kleines Biest! Eine solche Sprache dulde ich vor meinen Kindern nicht!« fauchte Gilla, ungeachtet der Tatsache, daß sie viel Schlimmeres zu hören bekamen, wenn sie im Labyrinth spielten.
»Und du bist eine aufgedunsene Sau!« gellte Zorra. Sie wich zurück und begann, sich hastig anzuziehen. »Du bist ja so fett, daß nicht einmal Amoli dich noch in ihr Haus nehmen würde. Ich hoffe, du endest in der Gosse, wo du hingehörst!« Sie schlug die Tür hinter sich zu und rannte die knarrenden Stufen hinunter.
»Ich hoffe, sie bricht sich den Hals. Ihr Vater hat die Treppe immer noch nicht gerichtet«, sagte Gilla ruhig.
Lalo bückte sich steif, um den Spachtel aufzuheben. »Sie hat recht ...« Er trat vor das verstümmelte Bild. »Verdammt ...«, flüsterte er. »Er hat mich hereingelegt - er wußte, was passieren würde. Dieser verdammte Enas Yorl!«
Gilla betrachtete das Bild und fing an zu lachen. »Nein - also wirklich«, keuchte sie. »Es ist eine großartige Ähnlichkeit. Du hast nur ihre hübsche Fratze gesehen. Aber ich kenne sie, wie sie wirklich ist. Sie hat ihren Verlobten in den Tod getrieben, als sie ihm wegen diesem Gorilla aus des Prinzen Leibgarde den Laufpaß gab. Diese Hexe kann nicht genug kriegen, was das Bild ganz deutlich zeigt. Kein Wunder, daß sie so wütend darüber wurde!«
Lalo ließ die Schultern hängen. »Aber ich wurde hereingelegt ...«
»Nein, du hast bekommen, worum du selbst gebeten hast, mein armer Schatz. Du hast die Seele dieses Mädchens gemalt!«
Lalo lehnte
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