Die Götter von Freistatt
Im Schein der untergehenden Sonne wirkte ihr Gesicht, in dem die Jahre ihre Spuren hinterlassen hatten, wie ein verwittertes Idol, das Anbeter vergoldet hatten, um sein Alter zu übertünchen. Die bittere Falte der Armut blieb, genau wie eine andere, die der Tod eines ihrer Kinder hinterlassen hatte ... Könnten alle Sorgen der Welt eine Göttin stärker gezeichnet haben?
Er legte die Hand auf ihren Arm. Er sah die Masse ihres Körpers, aber er spürte die Kraft in ihm und den Energiefluß zwischen ihnen, der ihn vor so vielen Jahren noch mehr an sie gebunden hatte als ihre Schönheit. Sie blieb still sitzen, gestattete seine Berührung, obgleich sie genug Grund gehabt hätte, sich von ihm abzuwenden, wie er meinte.
Kenne ich dich? fragte er sich.
Gilla hatte die Augen geschlossen und den Kopf zurückgelegt, in einem seltenen Augenblick inneren Friedens lehnte sie ihn gegen die Wand. Das intensiver werdende Licht auf ihrem Gesicht schien nun von innen zu kommen. Lalos Blick verschwamm. Ich war blind, dachte er. Blind und ein Narr ...
»Ja ...« Er mußte um die Festigkeit seiner Stimme kämpfen. Nun wußte er, wie er sie malen würde, wo er andere Modelle finden konnte. Sein Atem stockte. Er streckte die Hände nach Gilla aus. Da blickte sie ihn an, lächelte fragend und schloß ihn in die Arme.
Hundert Kerzen in silbernen Haltern, in der Form von Fackeln in kräftigen Fäusten, brannten in Molins Festsaal. Das Licht spiegelte sich in den feinen Seidengewändern der vornehmen Damen von Freistatt, schimmerte auf dem schweren Brokat der hohen Herren und ließ goldene Kettenglieder und geschliffene Edelsteine funkeln, und ihre Pracht übertraf fast die des Saales.
Lalo beobachtete alles von seinem verhältnismäßig ungestörten Platz neben einer Säule aus. Als Schöpfer der Wandgemälde, zu deren Vollendung das Fest stattfand, wurde er in der illustren Gesellschaft geduldet. Jeder von Rang und Namen oder vielmehr Reichtum, der um die Gunst des Reiches buhlte -und dazu gehörte in diesen Tagen fast die gesamte Oberschicht von Freistatt - war da. Und das Gesicht eines jeden war eine Maske selbstzufriedener Fröhlichkeit. Unwillkürlich fragte Lalo sich, wie diese Gesichter wohl aussehen würden, wenn er diese Szene malte.
Mehrere Kaufleute, für die Lalo früher einmal gearbeitet hatte, hatten sich irgendwie Einladungen verschafft, obwohl die meisten seiner ehemaligen Auftraggeber sich hier so fehl am Platz fühlten, wie er es tat. Er erkannte auch ein paar Freunde, unter ihnen Cappen Varra. Er hatte gerade ein Lied beendet und beobachtete nun argwöhnisch Lady Danlis, die jedoch viel zu sehr damit beschäftigt war, sich damenhaft mit einem Bankier aus Ranke zu unterhalten, als daß sie auf ihn geachtet hätte.
Einige Bekannte aus dem Wilden Einhorn hatten es fertiggebracht, als Aushilfsdiener angestellt zu werden. Lalo vermutete, daß nicht alle Geschmeide, die heute abend so herrlich glitzerten, mit ihren eigentlichen Besitzern das Haus wieder verlassen würden, aber er sah keinen Grund, seine Vermutung laut zu äußern. Er wappnete sich, als er sah, daß Jordis, der Steinmetz, sich einen Weg zu ihm bahnte.
»Nun, Meister Maler, jetzt, da Ihr damit fertig seid, den Göttern zu dienen, habt Ihr vielleicht wieder ein wenig Zeit für einfache Sterbliche, eh?« Jordis lächelte breit. »Der Platz an meiner Wand ist immer noch frei für ein Bild von mir ...«
Lalo hüstelte verlegen. »Ich fürchte, indem ich mich allzu ausgiebig mit himmlischen Szenen befaßte, habe ich mein Gespür für irdische Größen verloren ...« Die Miene des Steinmetz verriet ihm, wie aufgeblasen das klang, aber es war weit besser, wenn man glaubte, sein Reichtum und Ruhm seien ihm zu Kopf gestiegen. Die Lösung seines Problems, die es ihm ermöglicht hatte, den Auftrag für Lord Molin durchzuführen, verhinderte, daß er je wieder gewöhnliche Porträts malte.
»Himmlische Szenen - ah ja ...« Jordis’ Blick war zu einer der Nymphen des Wandgemäldes gewandert, die von angenehm geschmeidiger Figur mit sanften Rundungen war und aus deren Augen jugendliche Fröhlichkeit lachte. »Wenn ich mir meinen Unterhalt damit verdienen könnte, Bilder nach so liebreizenden Modellen zu malen, würde ich auch keine alten Männer porträtieren wollen!« Er lachte verschwörerisch. »Wo findet Ihr denn so was in dieser Stadt?«
Sie verkaufen ihre Körper am Hafen - oder ihre Seelen im Basar - arbeiten bis zum Umfallen in euren Küchen oder schrubben
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