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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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Dunkel. Wir müssen unsere Kräfte vereinen. Auch deine Kraft – und die deiner Mütter und Ahnen!
    Dein Bruder soll am vierten Tag, den du im Grab verbringst, ein Schwein hierher zum Opfer bringen. Das wird dich stärken bei der Begegnung.
    Wie ist es, Haibe, wagst du es, dich im Grab deiner Mütter und Ahnen einschließen zu lassen, um die Verbindung zu ihnen zu suchen?«
    Die Antwort fiel ihr schwer. Sie zögerte.
    Nakis Finger schlossen sich um ihre Hand. »Mutter, du tust es, nicht wahr?«
    »Ich habe es getan«, flüsterte Haibe und preßte die Hände an die Stirn. »Steh mir bei – ich habe es getan!«
    Als sie die Augen öffnete, sah sie die schmale Spur schwachen Lichtes über dem Eingang, eine feine Linie, die sich auf der rechten Seite zu einem Dreieck verbreiterte: der einzige Hinweis auf die Welt des Tages.
    Sie schloß die Augen wieder. Es war besser, diese Linie nicht zu sehen. Sie ließ die Finsternis um so finsterer erscheinen. Mit geschlossenen Augen konnte sie sich der Täuschung hingeben, es sei einfach Nacht.
    Sie dachte an ihren Garten, wie sie ihn am frühen Morgen vorgefunden hatte. Wie welk die Erbsenpflanzen ausgesehen hatten, wie matt sie die Blätter hängen ließen. Und schon wieder hatten sie Blüten abgeworfen. Wenn nun auch noch die wenigen Schoten vertrockneten, die sie angesetzt hatten!
    Konnten Mulai und Gwinne, Naki, Uori und die Kinder es allein schaffen, genügend Wasser aus dem Brunnen zu fördern, um die Pflanzen ausreichend zu gießen? Dringend mußte der Boden gehackt und gelockert werden, sonst verlor er noch mehr Feuchtigkeit –
    Es gab so viel Arbeit, und sie saß hier, zum Nichtstun verdammt.
    Sie sprang auf – und stieß sich am Kopf. Der Schmerz brachte sie zur Einsicht. Sie war hier, um Regen zu erflehen. Sie mußte sich in Geduld fassen. Wie sollte sie vier Tage ausharren, wenn sie schon ungeduldig wurde, kaum daß sich das Grab hinter ihr geschlossen hatte!
    Regen: Ein grau verhangener Himmel, tiefe, langsam ziehende Wolken, stetiger, sanfter, lauer Frühsommerregen, viele 1 und viele Nächte lang, ein Regen, der nicht das Erdreich abschwemmte, sondern tief in die Erde eindrang. Der die Erb-Nerl und die Bohnen, die Linsen und den Mohn, den Lein und den Emmer, das Einkorn und die Gerste mit lebenspendendem Wasser versorgte. Der die Bäume, die Sträucher und die Wiesen erfrischte ...
    Oder wenigstens ein gutes Gewitter. Keines, das allzu rasch aufzog, das mit Sturm oder Hagel die Felder vernichtete und unermeßlichen Schaden anrichtete. Aber starke, schwarze Wolken, ein kräftiger und ausgiebiger Regenfall, der die Quellen wieder fließen ließ und den Bach füllte ...
    Sie seufzte. Nur an Regen zu denken konnte auch nicht der rechte Weg sein. Könnte sie doch etwas
tun!
    Worauf hatte sie sich eingelassen, eine Aufgabe zu übernehmen, für die sie weder gebildet noch geeignet war!
    Zirrkan, dachte sie, dir macht es keine Schwierigkeit, still dazusitzen und die Hände ruhen zu lassen. Dir macht es keine Schwierigkeit, deinen Geist zu öffnen, nichts zu hören und nichts zu sprechen.
    Du warst immer sehr schweigsam.
    Aber warum hast du mich nicht verständigt, bevor du zu der Reise aufgebrochen bist, von der Lüre gesprochen hat? Warum hast du nicht Abschied von mir genommen? Das war nicht recht! Und so gar nicht deine Art ...
    Sicher, auch sonst vergehen oft viele Monde, ehe wir uns wieder sehen. Aber ich weiß doch, du bist in der Nähe, in irgendeinem der Dörfer, oder mit deiner Mutter bei den Heiligen Steinen! Und ich könnte nach dir fragen, dich aufsuchen oder nach dir schicken, wenn ich dich brauchte.
    Du aber gehst ohne ein Wort.
    Im Auftrag deiner Mutter, der Priesterin ...
    »Ich komme im Auftrag meiner Mutter, der Priesterin!« Der fremde junge Mann, dem sie die Tür geöffnet hatte, schüttelte die Regentropfen aus den Haaren und lächelte ihr zu. »Ich bin Zirrkan. Ich soll die Vorbereitungen für das Heilige Fest besprechen.«
    Er hatte ihr gleich gefallen, vom ersten Augenblick an. Seine dunkle, warme Stimme, die jedes Wort in Musik verwandelte. Sein herbes Gesicht mit der hohen Stirn, den nachdenklichen, sehr hellen Augen und der schmal geschnittenen Nase, ein Gesicht, das im Lächeln überraschend weich werden konnte und so ganz anders aussah als die runden Köpfe und breitnasigen Gesichter der Dala und Koa im Dorf. Seine flachsblonden Haare, die sich an der Stirn widerspenstig sträubten und in ihr den Wunsch wachriefen, sie glatt zu streichen.

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