Die Göttin im Stein
etwas geben. Was ist eine von uns gegen das Ganze! Was sind deine Wünsche gegen das Wohl unserer Sippen! Also tu deine Pflicht!«
»Ich weiß es ja, Mutter, ich wollte meine Pflicht tun! Ich habe darum gekämpft. Aber ich kann es nicht!«
»Oh doch, du kannst! Deine Ehe mit Taku ist seit langem beschlossen. Zum nächsten Vollmond mußt du Taku zum Mann nehmen. Zum nächsten Vollmond wird durch deine Heirat einmal mehr
die Verbindung zwischen den Dala und den Koa gefestigt, für deine Generation neu der Bund der
wechselseitigen Heiraten begründet. So haben unsere Mütter den Hund geschlossen und vor ihnen deren Mütter. So habe auch ich einst deinen Muga geheiratet, damit die Dala und die
Koa einander beistehen in jeder Not, damit unsere Kinder im Leben vereint sind wie unsere Mütter und Ahnen im Tod.«
»Ich kann das nicht, begreif doch! Warum bist du auf einmal so hart?«
»Weil du es bist, die nicht begreifen will, Haibe! Du meinst, du könntest dich gegen die ewige Ordnung stellen, du ganz allein. Hast du die heilige Geschichte von den Urfrauen Ba und Ra vergessen?«
Wie könnte sie. Die ganze Kindheit hatte diese Geschichte sie begleitet:
Vor den alten Zeiten und vor der heiligen Ordnung lebte einst jede Sippe für sich allein, jede Frau bestellte das eigene Feld, und jeder Mann hütete das eigene Vieh. Wenn aber ein Feuer ihr Haus verbrannte, so gingen sie zugrunde, und wenn eine Mißernte kam, so verhungerten sie, und wenn eine Kuh im Sumpf versank, so hatten die Kinder keine Milch. Und sie litten große Not. Da sprach Ba zu Ra: Laß uns einen Bund gründen, daß nicht länger deine Sippe getrennt sei von meiner Sippe und daß wir uns beistehen in jeder Not. Daß wir dir Obdach geben und dir ein Haus bauen, wenn dein Haus verbrennt, und du uns nährst, wenn unsere Ernte verdirbt oder unser Vieh versinkt! Und Ra sprach: So sei es. Doch nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder und Kindeskinder. Und Ba sprach: So sei es. Und so wollen wir den Bund gründen: Meine Töchter sollen deine Söhne heiraten und deine Töchter sollen meine Söhne heiraten. So werden unsere Söhne die Sippen verknüpfen und den Bund bewahren. Denn ihre Treue wird ihrer eigenen Sippe gehören, ihre Liebe aber der Sippe ihrer Frau. Und Ra sprach: So sei es.
»Ich weiß doch, Mutter, daß der Bund der Dala und Koa in der heiligen Ordnung begründet ist und daß ich deswegen einen Koa heiraten muß! Meinst du, ich hätte mir das nicht selbst unzählige Male vorgehalten?! Tag und Nacht denk' ich nichts anderes! Und Tag und Nacht komm' ich zum gleichen Schluß: Ich kann weder Taku noch einen anderen Koa heiraten. Ich gehöre zu Zirrkan!«
»Zu einem Mann aus einem Dorf neun Wegstunden östlich von hier? Wenn du schon nicht begreifen willst, daß du Taku heiraten mußt, so begreife wenigstens, daß du Zirrkan nicht heiraten kannst! Wie sollte Zirrkan bei dir sein und zugleich seine Pflichten bei seiner Sippe erfüllen? Er ist der einzige Bruder seiner Schwester Kugeni, er wird der Große Oheim seiner Neffen und Nichten sein! Wie sollte er bei dir schlafen und bei den Seinen arbeiten? Wie sollte er deine Kinder lieben und die seiner Schwester erziehen?«
Da war sie wieder, die Macht der Einwände. Aber sie konnte dennoch nicht von Zirrkan lassen, sie konnte es nicht. »Dann verlasse ich eben unser Haus und unser Dorf! Soll Gwinne nach dir Sippenmutter werden, soll Gwinne den Bund mit den Koa schließen! Ich gehe mit Zirrkan und lebe bei ihm!«
Da schrie die Mutter sie an.
Niemals, ihr ganzes Leben nicht, hatte Haibe ihre Mutter im Zorn schreien hören. Doch nun schnitt die rasende Stimme der Mutter sie mitten entzwei:
»Sag das nie wieder, nie! Eine Frau läuft nicht einem Mann nach! Eine Frau verläßt nicht ihre Sippe! Eine Frau lebt nicht im Haus der Mutter oder Schwester ihres Mannes! Willst du alles mit Füßen treten, was uns heilig ist?! Willst du wie eine von den Frauen der Söhne des Himmels werden, über die es heißt, sie seien ohne Einfluß und ohne Ehre und ohne Stolz?!«
Haibe löste sich von dem Stein. »Du warst sehr hart zu mir, Mutter«, murmelte sie. »Aber du hast dein Ziel erreicht.
Vielleicht hätte ich dir widerstanden, wäre da nicht der Große Oheim gewesen, der sich an deine Seite stellte. Gegen Wille unerbittliche Ruhe war ich wie eine Feder gegen den Wind.
Ihn konnte ich nicht hassen dafür. Aber dich, dich!«
Haibe umklammerte die Bernsteinperlen der Halskette. Erst beim Tod der Mutter
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