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Die Goldhaendlerin

Die Goldhaendlerin

Titel: Die Goldhaendlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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wie es wäre, wenn er sie in ihrer Männerkleidung hereinbringen und seinen Eltern sagen würde, dass sie die einzige Frau sei, die er heiraten wolle. Seine Mutter würde wohl in Ohnmacht fallen, und sein Vater … Nun – dessen Reaktion mochte er sich lieber erst gar nicht vorstellen.
    »Ich weiß nicht, ob ich überhaupt zur Ehe tauge«, sagte er leichthin. »Und was Onkel Rodrigo betrifft, Mutter« – er ignorierte dabei den warnenden Blick seines Vaters – »so habe ich genug Freunde in Spanien, die ihm helfen können. Ich werde ihnen umgehend schreiben.«
    »Das ist aber auch alles, was du tun wirst! Ich dulde keine gefährlichen Eskapaden mehr, hast du mich verstanden?«
    Die Mutter lächelte Orlando unter Tränen an und sagte nur ein Wort. »Danke.«
    Orlando drückte sie an sich und deutete dann auf die Treppe.
    »Ich gehe nach oben und ziehe mich um. Kann mir jemand Waschwasser hochbringen? Dann möchte ich essen, denn ich komme um vor Hunger.«
    Seine Mutter verwandelte sich von einem Augenblick zum anderen in eine umsichtige Hausfrau. »Frisches Wasser steht täglich für dich bereit. Geh nur! Ich sage derweil Elmira Bescheid, dass sie dir einen Imbiss machen soll.«
    Sie strich ihrem Sohn wie einem kleinen Jungen über die Haare und verschwand dann in der Küche. Don Manuel öffnete den Mund, als wollte er noch etwas zu Orlando sagen, forderte stattdessen jedoch Alisio auf, ihn zu seinem Sessel zurückzubringen. Orlando wollte dem alten Diener helfen, wich aber vor dessen beleidigtem Blick zurück. Don Manuel zu versorgen war eine Aufgabe, die Alisio sich von niemandem abnehmen ließ.
    Orlando stieg über zwei schmale, steile Treppen bis ins Dachgeschoss. Zum größten Teil diente es als Speicher für wertvolle und nicht allzu schwere Waren, die man nicht im Erdgeschoss lagern wollte, da man dort nicht sicher vor Dieben war. Er ging an den Arbeitern vorbei, die unter der Aufsicht eines Hausknechts gerade einen Stapel Tuchballen umschichteten, um mehr Platz zu gewinnen, und warf noch einen Blick auf den Kanal. Dann wandte er sich dem hinteren Teil des Dachbodens zu, auf dem sich die Truhen mit Leinen, Winterkleidung und anderen privaten Gütern stapelten. Sie verbargen die Tür zu einer Kammer, in der die Mägde des Vorbesitzers geschlafen hatten.
    Der Raum war nicht besonders groß, und man sah ihm an, dass Orlando sich nicht häufig hier aufhielt. Das ganze Mobiliar bestand aus einem bequemen Bett, einem kleinen Tisch, einem Stuhl, dem Ständer für Krug und Waschschüssel, einem Bord an der Wand und einer Truhe für seine Kleidung. Auf dem Bord lagen fein säuberlich zusammengerollt mehrere Landkarten, flankiert von einem Tintenfass, einem Gestell mit frischen Schreibfedern und ein Stoß Papier, das so weiß in der Sonne schimmerte, als hätte seine Mutter Alisio eben erst damit beauftragt, es ihrem Sohn hinaufzubringen.
    Orlando hätte statt dieser Dachkammer auch ein größeres Zimmer im Wohntrakt wählen können. Doch da das Haus zum Fischkopf höher war als die umliegenden Gebäude, hatte er von hier oben einen wunderbaren Ausblick auf den Hafen und die Schiffe, die an den Elbkais vertäut lagen. Auch jetzt ging er zuerst zum Fenster und blickte hinaus. Im Sommer herrschte reger Betrieb auf dem Fluss. Neben dickbäuchigen Koggen gab es holländische Kuffs und englische Segler, die Waren aus aller Herren Länder brachten und auf neue Ladung warteten, die von großen, plumpen Elbkähnen in Form von Getreide, Bier und Vieh aus dem Hinterland in die Stadt geschafft wurde. Die Kähne übernahmen ihrerseits die Waren aus Übersee und wurden dann flussaufwärts getreidelt.
    Der Anblick einer Nao unter den portugiesischen Farben erinnerte Orlando an seinen Onkel. Seiner Erfahrung nach schwebte Rodrigo Varjentes de Baramosta tatsächlich in Lebensgefahr, denn selbst wenn er versuchte, sich freizukaufen, würde man ihn nur laufen lassen, wenn er den letzten Maravedi hergegeben hatte, um ihn dann nach einigen Tagen oder Wochen wieder gefangen zu setzen und der Folter zu unterwerfen. Ganz gleich, was sein Onkel tat, er war verloren.
    Gleichzeitig war er der gleichen Meinung wie sein Vater. Die Tatsache, dass man Rodrigo aus Sevilla hatte fliehen lassen, ließ keine andere Erklärung zu, als dass man einen gewissen Orlando Terasa endlich in die Hände bekommen wollte. Aber er würde ihnen nicht den Gefallen tun und in die Falle gehen, die man mit Sicherheit für ihn gelegt hatte. Andererseits durfte er auch

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