Die Goldhaendlerin
von demselben Mann?«
»Ja! Das trifft sich doch gut. Wenn du ihn herausholst, gewinnst du einen treuen Gewährsmann in einer der Hafenstädte in Flandern oder im Norden des Reiches, je nachdem, wo er sich niederlassen wird.«
Lea nickte. Mit fünftausend Gulden würde sie sich in jeder Stadt des Heiligen Römischen Reiches, in der Juden leben durften, einkaufen können, ohne ihr Geschäftskapital angreifen zu müssen, und mit Baramosta hatte sie bisher nur die besten Erfahrungen gemacht. Also war sie geradezu gezwungen, sich auf dieses verrückte Unternehmen einzulassen. Sie legte die Hände an die Wangen und sackte ein wenig nach vorne, so als wäre ihre Kraft zum Widerstand aufgezehrt.
»Also gut, ich mache mit.«
2.
Orlando ließ Lea nur eine Nacht Zeit, die wichtigsten Angelegenheiten zu ordnen. Um pünktlich an ihrem Treffpunkt zu sein, musste sie am nächsten Morgen die Stadt in dem Moment verlassen, in dem die Tore geöffnet wurden. Als sie über die Landstraße wanderte, wurde ihr klar, dass sie zum ersten Mal ohne Jochanan unterwegs war, und fühlte sich plötzlich verunsichert. Das Gefühl steigerte sich, als sie die enge Kutsche bestieg und Orlando sie auf Spanisch begrüßte. Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern hielt ihr, fast ohne Atem zu holen, einen Vortrag in der gleichen Sprache, und da sie nur zum Teil verstand, was er meinte, bedachte er sie erneut mit herzhaften Flüchen.
Gegen Abend war ihre Unsicherheit kochender Wut gewichen, denn ihr Begleiter behandelte sie wie einen Leibeigenen, der auf jeden Wink springen musste. Nachdem er sie den ganzen Tag mit Sprachübungen traktiert und ihr einiges an Wissen über Kastilien in dem dort gebräuchlichen Idiom eingetrichtert hatte, ließ er spät am Nachmittag den Wagen bei einer Quelle anhalten. Während der Kutscher und sein Knecht umständlich und langsam die Pferde tränkten, zog er eine Schere heraus, schnitt ihr kurzerhand die Schläfenlocken ab und kürzte auch ihre Haare im Nacken. Dann legte er ihr ein Bündel Kleider hin und befahl ihr, sich umzuziehen. Zu ihrer Erleichterung stieg er ohne Erklärung aus und gesellte sich zu den beiden Männern, mit denen er sehr vertraut zu sein schien. Lea wunderte es nicht mehr, dass er Spanisch mit ihnen sprach.
Sie brauchte eine Weile, um sich umzuziehen, denn sie musste das Band, mit dem sie ihren Busen flachdrückte, fester schnüren, damit sich keine verräterischen Formen unter dem ungewohnten Wams abzeichneten. Als sie die Kutsche verließ, um auszuprobieren, wie sie in den hochhackigen Lederschuhen gehen konnte, deutete nichts mehr an ihr auf den Juden Samuel Goldstaub hin. Sie sah nun aus wie ein Christ, dessen einfache, aber gut gearbeitete Kleidung einen gewissen Wohlstand verriet. Ein wenig schämte sie sich für diesen Aufzug, denn die dunkelgrauen Strumpfhosen lagen wie eine zweite Haut auf ihren Schenkeln, und das braune Wams reichte ihr gerade bis zu den Hüften. Dafür hatte man ihr ein Polster im Schritt eingenäht, welches ein größeres Geschlechtsteil vortäuschte. Als Lea im Hellen an sich herabblickte, erschrak sie zunächst. Ahnte Fischkopf, dass sie kein Mann war? Sie beruhigte sich aber sofort wieder, denn er glaubte ja zu wissen, dass Samuel mehr fehlte als das, was man ihm bei der rituellen Beschneidung weggenommen hatte. Um die anderen nicht merken zu lassen, womit sie sich beschäftigt hatte, untersuchte sie den Dolch, der an ihrem Gürtel hing, und den Geldbeutel, der Münzen mit den Köpfen der spanischen Könige Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon enthielt.
Orlando ging mit prüfenden Blicken um sie herum, lobte »Léon« und deutete auf die Kutsche. »Steig ein. Wir fahren weiter.«
Drinnen aber hatte er einiges an ihrer Haltung auszusetzen und der Art, wie sie sich bewegte – natürlich auf Spanisch. Es erleichterte ihr die Sache nur wenig, dass er ihr einige neue Begriffe und Redewendungen ins Deutsche übersetzte. Als sie gegen seine unbarmherzigen Forderungen aufbegehrte, erklärte er ihr, dass sie in der Lage sein müsse, sich notfalls auf eigene Faust auf der gesamten Iberischen Halbinsel durchzuschlagen. In dieser Nacht, die sie zu ihrer Erleichterung allein in einer Kammer verbrachte, träumte sie schon auf Spanisch, und als sie am nächsten Tag aufbrachen, kam es ihr so vor, als wäre ihr bisheriges Leben schon unerreichbar ferne Vergangenheit.
Da die burgundische Delegation aufgrund der Spannungen zwischen ihrem Herrn und Karl VIII.
Weitere Kostenlose Bücher