Die Goldhaendlerin
nicht die Hände in den Schoß legen, denn dann würde er bis ans Ende seiner Tage den Vorwurf in den Augen seiner Mutter sehen, am Tod ihres Bruders mitschuldig geworden zu sein. Lange überlegte er, welche seiner spanischen Freunde und Gewährsleute in der Lage waren, Rodrigo und seine Gruppe aus dem Konvent zu schaffen und an die Küste zu bringen, wo ein Schiff sie aufnehmen konnte. Doch solange er auch grübelte, er kannte niemanden, der bereit war, sich für seinen Onkel in Lebensgefahr zu begeben.
Es musste jemand sein, der die Flucht planen und vorbereiten konnte, ohne dass die Inquisitoren Verdacht schöpften. Freunde, die ihm oder einem Boten von ihm für ein, zwei Tage Unterschlupf gewährten, Nachrichten weiterreichten oder mit Geld und Pferden aushalfen, besaß er genug. Aber einen Mann zu finden, der mutig, nein, verrückt genug war, der Inquisition ihr Opfer unter der Nase wegzuschnappen, war schier unmöglich. Wenn er Rodrigo helfen wollte, musste er es selbst tun, aber wenn er nach Spanien ging, konnten die Aufregung und die Angst um ihn seinen Vater das Leben kosten. Orlando ging all die Namen und Gesichter jener durch, die er gerettet und denen er eine neue Heimat verschafft hatte. Er musste jemanden finden, der gleichzeitig draufgängerisch und besonnen war, jemand, dem es zur zweiten Natur geworden war, seine Umwelt zu täuschen.
Ein Mann wie Samuel Goldstaub. Ja, Lea würde er es zutrauen, Sand in die ewig misstrauischen Augen der spanischen Inquisitoren zu streuen.
Schnell schüttelte er diesen Gedanken ab. Natürlich durfte er Lea keiner solchen Gefahr aussetzen, selbst wenn sie, was unwahrscheinlich war, diesem halsbrecherischen Unternehmen zustimmen würde. So nahm er ein Blatt Papier und schrieb die Namen aller in Frage kommenden Männer auf und ging die Liste dann sorgfältig durch. Als er mehr als zwei Drittel von ihnen wieder ausgestrichen hatte, spürte er, wie die Verzweiflung seinen Geist wie ein schwarzes Tuch einhüllte.
Fünfter Teil
Spanien
1.
Lea starrte Roland Fischkopf fassungslos an. Diesen Vorschlag konnte er nicht ernst gemeint haben. Aber sein flehender Blick und seine angespannte Miene verrieten ihr, dass seine Frage kein schlechter Witz gewesen war. So gab es nur eine andere Erklärung: Der Mann musste verrückt geworden sein!
Sie hatte sich schon gewundert, als ein Bote bei ihr erschienen war, um ihr mitzuteilen, dass Roland Fischkopf an der Grenze der Hartenburger Markgrafschaft in einer Kutsche auf sie wartete. Sein Auftauchen war ihr gerade recht gekommen, denn sie hatte weder eine Nachricht erhalten, wie das flandrische Weinmonopol sich entwickelte, noch wusste sie, ob Fischkopfs Gewährsleute Peter Pfeiffer als ihren Beauftragten akzeptiert hatten. Aus diesem Grund hatte sie sich wieder in Samuel verwandelt und war dem Boten gefolgt.
Jetzt saß sie in einer engen, schmalen Kutsche, die nur wenig Ähnlichkeit mit dem großen, bequemen Reisewagen hatte, den der Herzog von Burgund benutzte, sondern auf Schnelligkeit getrimmt war. Die vier angespannten Pferde waren so temperamentvoll, dass sie keinen Augenblick ruhig standen und der Kutscher und sein Knecht alle Mühe hatten, sie zu bändigen.
Lea musterte ihr Gegenüber, um Spuren beginnenden Wahnsinns zu entdecken, aber der Handelsagent wirkte nur müde und abgespannt wie nach zu vielen durchwachten Nächten.
»Könntet Ihr noch einmal wiederholen, was Ihr da eben gesagt habt, Herr Fischkopf?«
»Ich bitte dich, an meiner Stelle nach Kastilien zu reisen – und zwar als Christ verkleidet.« Orlandos Stimme klang schroff, doch sein Unmut galt nicht Lea, sondern sich selbst. Er verachtete sich, weil er keine andere Lösung gefunden hatte, als einer jungen Frau etwas zuzumuten, für das nur er allein sich in Gefahr hätte begeben dürfen.
»Beim Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, hat ein Dämon Eure Sinne befallen? Da kann ich mich ja gleich freiwillig auf einen Scheiterhaufen binden lassen!«
Orlando ballte die Fäuste. »Glaubst du, ich würde dich darum bitten, wenn ich die Angelegenheit selbst erledigen könnte? Ich versichere dir, dass man dich kaum beachten wird, weil gewisse Herrschaften nach mir Ausschau halten.«
»Geht es wieder um eines Eurer Schurkenstücke?«
»Wenn es ein Schurkenstück ist, unschuldige Menschen vor einem grässlichen Tod zu retten, dann ja.« Orlando ärgerte sich über Leas Kratzbürstigkeit, die sie nur ihm gegenüber an den Tag zu legen schien, und hätte sie am liebsten
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