Die Goldhaendlerin
ihr Judenschweine? Macht, dass ihr verschwindet.«
Vor ihrem Aufenthalt in Spanien hätte Lea den Kopf eingezogen und wäre davongelaufen, in der Hoffnung, sich bis zum Morgen irgendwo verstecken zu können. Jetzt aber verschränkte sie die Arme vor der Brust und warf dem Mann einen spöttischen Blick zu.
»Wenn du uns nicht aufmachst, werde ich Seine Durchlaucht, den Markgrafen, wecken lassen und ihm sagen müssen, dass ich seinen Auftrag nicht erfüllen kann. Dann erhältst du eine Tracht Prügel, die dich lehren wird, das nächste Mal gefälliger zu sein.«
»Warum sagst du nicht gleich, dass du im Auftrag unseres markgräflichen Hurenbocks kommst?« Der Türmer schnaubte ärgerlich und zog seinen Kopf zurück.
Wenig später kam er im Nachthemd aus dem Haus und schloss die kleine Pforte auf, die dazu diente, einzelne Leute passieren zu lassen, ohne dass man gleich das ganze Tor öffnen musste. Eine Münze wechselte ihren Besitzer, dann standen Lea und ihre Begleiter im Freien.
Als sie in die Nacht hineinwanderten, schenkte Lea im Gegensatz zu ihren Schützlingen Hartenburg keinen Blick mehr, sondern konzentrierte sich darauf, in der spärlichen Helligkeit die schlimmsten Schlaglöcher zu umgehen und trotzdem so schnell wie möglich aus der Sichtweite der Stadt zu kommen. Als das erste Waldstück hinter ihnen lag, bogen sie auf einen Pfad ab, der sich zwischen den Wiesen und Feldern auf die Berge zuschlängelte. Lea sah mehrfach sorgenvoll zu den Wolkenfetzen hoch, die an der zu zwei Dritteln sichtbaren Mondscheibe vorbeizogen, denn wenn der Himmel sich zuzog, würden sie rasten müssen. Zu ihrem Glück blieb es weiterhin klar, auch wenn die Gruppe nicht so schnell vorankam, wie es allen lieb gewesen wäre. Mit jeder Stunde aber, die sie dahintrotteten, stieg die Hoffnung, dass sie unentdeckt entkommen konnten.
Zunächst war keinem der fünf Reisegefährten zum Reden zumute, denn der holprige Untergrund erforderte alle Aufmerksamkeit, und der Schock, den die Ereignisse des letzten Tages in ihnen allen ausgelöst hatte, wirkte noch nach. Lea quälte sich mit Gewissensbissen. Sechs Jahre lang hatte sie gerackert und gekämpft, um ihren Geschwistern die Heimat zu erhalten, und jetzt kam sie sich wie eine Verräterin vor, weil sie Elieser und Rachel einfach zurückließ. Nach einer Weile hielt sie das Schweigen nicht mehr aus und versuchte, Sarah ihre Sorgen anzuvertrauen.
»Ich fühle mich so schlecht, denn ich laufe einfach mit den Taschen voller Gold davon, während die arme Rachel sich in der Gewalt des Markgrafen befindet, der sie gezwungen hat, seine Hure zu werden. Am liebsten würde ich umkehren und versuchen, ihr auch zur Flucht zu verhelfen …«
Sarah stieß ein meckerndes Lachen aus. »Gezwungen? Wer hat dir denn das gesagt? Wahrscheinlich dein feiner Bruder, für den die Wahrheit nur zählt, wenn sie ihm nützt. Nein, Lea, vergiss Rachel. Sie war es, die dem Markgrafen aufgelauert und sich ihm an den Hals geworfen hat, um so schnell wie möglich in sein Bett springen zu können.«
Lea hob abwehrend die Hand. »Das glaube ich nicht. Seit Sarningen hat sie die Christen aus tiefster Seele gehasst.«
»Die markgräfliche Gunst war ihr wichtig genug, all das zu vergessen. Und bedauere sie ja nicht! Sie hat unseren Landesherrn aus eigenem Antrieb dazu gebracht, deine Privilegien auf Elieser zu überschreiben, und ihm auf Ruben ben Makkabis Wunsch die Erlaubnis abgebettelt, weitere Juden in Hartenburg ansiedeln zu dürfen. Du warst zu oft und zu lange auf Reisen und kennst deine Schwester daher nicht so gut wie ich. Ich weiß, dass sie seit Jahren auf eine Gelegenheit gelauert hat, dich loszuwerden und Elieser zum Herrn des Hauses zu machen. Und auch sie hätte Jiftach nicht davon abgehalten, dich zu vergewaltigen.«
»Was hat Jiftach getan?«, fragte Jochanan ebenso erschrocken wie wütend.
Lea zuckte mit den Schultern, obwohl Jochanan die Geste ja gar nicht sehen konnte. »Er hat versucht, mir Gewalt anzutun, und sich als Paket an einem Tragbalken gefesselt wiedergefunden.«
»Ich wollte Lea beistehen, doch es war nicht mehr nötig«, setzte Sarah immer noch erstaunt hinzu.
Sie schloss zu Lea auf und legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Trauere nicht zu sehr um deine Geschwister. Sie ruhen jetzt in den Betten, die sie sich selbst bereitet haben. Elieser ist auch nicht besser als Rachel, denn er hat Ruben ben Makkabi schon im letzten Herbst zu sich eingeladen, kaum dass du das Haus verlassen
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