Die Goldhaendlerin
hattest. Jochanan musste seinen Brief nach Straßburg zu Rabbi Rubens Geschäftsfreunden bringen, die ihn weitergeleitet haben. Dein Bruder hat schon lange nach einem Weg gesucht, dich von deinem Platz zu verdrängen, ohne dafür einen Finger rühren zu müssen. Heute Abend hat er Jiftach noch Glück gewünscht, als dieser zu dir hochging.«
Lea wollte Sarah zuerst nicht glauben, aber nun redeten alle auf sie ein, und sogar die sonst so stille Gomer tat alles, um Lea die Augen zu öffnen. Vieles von dem, das die vier vorzutragen hatten, war Lea durchaus bewusst, doch bisher hatte sie alles Unangenehme im Verhalten ihrer Geschwister darauf geschoben, dass sie noch halbe Kinder waren. Nun aber wurde ihr schmerzhaft klar, dass sie als Erzieherin völlig versagt hatte und ihr wirklich nichts anderes übrig blieb, als die beiden ihrem Schicksal zu überlassen. Sie konnte nur hoffen, dass es Ruben ben Makkabi gelang, ihre Geschwister zu beschützen, und schickte ein stilles Gebet zum Himmel.
Sarah humpelte eine Weile neben der verbissen schweigenden Lea her und räusperte sich dann ein paarmal, und als ihre Herrin immer noch nicht reagierte, hielt sie sie kurzerhand fest. »Bitte Lea, willst du uns nicht sagen, wohin du uns bringen willst?«
»Ich weiß es noch nicht. Zunächst müssen wir Hartenburg weit hinter uns lassen.«
»Wir sollten den ehrenwerten Zofar ben Naftali in Worms aufsuchen. Er ist ein Großer unter den Juden im Reich und wird uns gewiss sagen können, wo wir eine neue Heimat finden.«
Lea entzog sich Sarahs Griff. »Rabbi Zofar ist ein glaubensstrenger Mann und wird eher auf Ruben ben Makkabis Seite stehen als auf meiner, und in gewisser Weise sind sie auch im Recht. Wir hätten damals, als Vater, Samuel und dein Mann tot waren, in einer jüdischen Gemeinde Zuflucht suchen sollen. Das bei Ruben ben Makkabi und Zofar ben Naftali hinterlegte Geld hätte ausgereicht, uns das Ansiedlungsrecht zu erkaufen und ein schmales Häuschen zu pachten. Vielleicht wäre sogar genug übrig geblieben, um einen kleinen Handel aufzumachen, so dass wir nicht auf die Mildtätigkeit der anderen Gemeindemitglieder angewiesen gewesen wären. Doch ich wollte das Werk meines Vaters fortsetzen, um es ungeschmälert in Eliesers Hände zu geben.«
Jochanan stieß die Luft zwischen den Zähnen heraus, so dass es sich wie das Zischen einer Schlange anhörte. »Mach dir deswegen kein schlechtes Gewissen, Herrin. Du wolltest uns damals vor der Vertreibung retten, und das hast du getan. Hätten wir die Stadt ohne Erlaubnis verlassen, wären wir mit dem schwer verletzten Elieser keine Meile weit gekommen, denn die Reiter des Markgrafen hätten uns eingeholt und zurückgeschleppt. Was dann passiert wäre, können wir uns alle lebhaft vorstellen.«
Jochanan schüttelte sich, denn er musste an den Tag denken, an dem Medardus Holzinger Lea und ihn auf den Scheiterhaufen hatte bringen wollen. Die damalige Kebse des Markgrafen, jene Wirtstochter, hätte ebenfalls diesen Tod für sie gefordert und ihn genossen wie ein Schauspiel.
Ketura stimmte ihrem Bruder eifrig zu. »Du hast das einzig Richtige getan, Lea. Schuld daran, wie es gekommen ist, tragen deine Geschwister.«
»Nur selten ist jemand allein für so eine Situation verantwortlich«, wandte Lea ein. »Einen Teil meiner Schuld dürfte ich mittlerweile jedoch abgetragen haben. Elieser verbleibt ein hübsches Vermögen, mit dem er, wenn er es geschickt einsetzt, seinen Reichtum vermehren kann. Nur um Rachel tut es mir Leid. Ich hätte ihr rechtzeitig einen Mann suchen müssen.«
Sarah schnaubte. »Glaubst du, sie hätte dir gehorcht? Deine Schwester zog es vor, eine große Dame zu spielen. Eine fromme und arbeitsame Frau zu werden, danach stand ihr nie der Sinn. Wo sie jetzt ist, dürfte sie glücklicher sein denn als Ehefrau eines braven Juden.«
Während des Gesprächs hatten sie den Grenzstein erreicht, der das Ende der Hartenburger Herrschaft: anzeigte. In der Dunkelheit war das Wappen ebenso wenig zu erkennen wie das auf dem Grenzstein, der dahinter auftauchte. Lea wusste jedoch, dass sie die habsburgische Herrschaft Ortwil erreicht hatten.
Sie wandte sich zu ihren Begleitern um und wies auf die beiden schattenhaften Stelen. »Der erste Teil unserer Flucht ist gelungen. Wir werden bis zum Morgengrauen weitergehen und uns dann im Wald ein Versteck suchen. Dort werde ich mich umziehen und in der nächsten Stadt andere Kleidung für euch besorgen oder wenigstens Stoff und
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