Die Goldhaendlerin
für sie nun wertlos waren, denn Ruben ben Makkabi hatte bestimmt schon denjenigen ihrer jüdischen Geschäftspartner, mit denen auch er Handelsbeziehungen unterhielt, mitgeteilt, dass Elieser ben Jakob das neue Haupt der Familie war und die Geschäfte führte.
Wenn sie sich an diese Leute wandte und ihr Geld einforderte, würde man sie abweisen und im schlimmsten Fall sogar festhalten, um sie Ruben ben Makkabi zu übergeben. Sie konnte nur noch über jene Summen verfügen, von denen ihr Bruder und sein Schwiegervater nichts wussten, wie die Einzahlungen, die Orlando für sie bei der Banco San Giorgio in Genua getätigt hatte und ihre Einlagen bei Eelsmeer und Deventer in Antwerpen, auf die auch der Gewinn aus dem flandrischen Weinmonopol floss.
Lea sortierte die für sie wertlosen Papiere aus und legte sie in die Truhe zurück. Für einen Augenblick überlegte sie, ob sie nicht wenigstens versuchen sollte, an das Geld zu kommen, das sie bei Zofar ben Naftali in Worms stehen hatte, gab aber den Gedanken sofort wieder auf. Als einer der wichtigsten Bankiers der Juden im Reich war Zofar gewiss als Erster von Ruben ben Makkabi informiert worden, auch durfte sie keine Spuren hinterlassen, die ihre Verwandten zu ihr führen konnten. Dank ihrer jahrelangen Arbeit würde Elieser nun mehr als das Doppelte von dem Kapital besitzen, das sie von ihrem Vater übernommen hatte. Lea besänftigte die in ihr aufsteigende Wut jedoch schnell wieder, denn trotz allem war Elieser ihr Bruder und hatte ein Anrecht auf das Erbe, und Rachel musste ja auch noch versorgt werden. Ihr selbst blieb noch genug, um irgendwo neu anfangen zu können.
Mit diesem beruhigenden Gedanken packte sie das Geld und die Unterlagen ein und wandte sich zur Tür, gerade als Sarah, Ketura und Jochanan ins Zimmer quollen. Die drei sahen aus, als würden ihre Herzen vor Worten überlaufen, doch hier im Haus mussten sie stumm bleiben, um niemand auf ihre Flucht aufmerksam zu machen. Lea reichte Jochanan das Paket mit dem Flussgold, Ketura einen Teil der geprägten Münzen und lud den Rest sich selbst auf. Als sie einen letzten Blick in das Zimmer warf, das sechs Jahre lang ihr Refugium gewesen war, fiel ihr Blick auf ihren Reisesack, der unter anderem die kastilische Männertracht enthielt, die noch aus Orlandos Vorrat an Verkleidungen stammte. Wenn sie ihre Spuren gründlich verwischen wollte, durfte sie nicht als Samuel Goldstaub reisen, sondern musste sich außerhalb von Hartenburg wieder in Léon de Saint Jacques verwandeln.
Auf dem Hof wartete Gomer auf sie. Die junge Magd zitterte vor Angst, doch sie ergriff Leas Hand und küsste sie. »Ich bleibe bei dir, Herrin, ganz gleich, wohin du gehst.«
»Das tun wir alle«, antwortete Sarah an Leas Stelle und stellte dann die Frage, die Lea sich noch nicht beantwortet hatte. »Wohin wenden wir uns?«
Lea hörte die Turmuhr Mitternacht schlagen und winkte ihre Schützlinge mit ungeduldigen Gesten zur Hoftür hinaus.
»Erst einmal müssen wir Hartenburg verlassen«, erklärte sie, während sie sie durch die vom Mondlicht nur sehr spärlich erhellten Gassen zum Straßburger Tor führte. Jochanan griff nach Leas Ärmel. »Sobald man unsere Flucht bemerkt, wird Elieser zu Rachel laufen, und die wird den Markgrafen dazu bringen, uns verfolgen zu lassen.«
Lea klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. »Hartenburg ist nur ein Staubkorn im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Seine nächste Grenze liegt keine zwei Stunden Weges von hier, und weiter wird man uns nicht folgen.«
»Dafür müssten wir um die Stadt herum und über die Berge gehen. Auf der Handelsstraße erreichen wir die Grenze nicht vor morgen Nacht, und die Reiter des Markgrafen sind schnell.«
»Ich hoffe, sie suchen uns auf der Handelsstraße. Wir aber werden genau das tun, was du eben gesagt hast, und lange vor dem Morgengrauen außer Reichweite sein. Jetzt aber schweigt und beeilt euch.«
Als sie das geschlossene Tor erreichten, stöhnte Jochanan auf, als hätte man ihn geschlagen. »Ich habe gar nicht daran gedacht, dass wir ja warten müssen, bis die Stadttore am Morgen geöffnet werden. Jetzt ist alles aus! Wir werden niemals entkommen.«
Lea ging an ihm vorbei zum Haus des Türmers und klopfte laut an die Tür.
»Was machst du da, Mädchen?«, rief Sarah erschrocken. Im selben Augenblick wurde im Obergeschoss ein Fenster geöffnet. Der Türmer steckte den Kopf heraus und leuchtete missmutig die kleine Gruppe an.
»Was soll denn das,
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