Die Goldhaendlerin
Hals!«
Sie wollte noch etwas hinzusetzen, blickte dann aber verwundert in die leere Vorhalle hinab. »Wo sind denn Rachel und Elieser? Hast du sie nicht mitgebracht?«
Orlando schüttelte nachsichtig den Kopf. »Nein, das ging wirklich nicht. Du weißt doch selbst, dass hier in Hamburg keine Juden geduldet werden, und beide wären nicht bereit gewesen, ihren Glauben zu verleugnen. Würde man uns nicht für spanische Christen halten, erginge es uns ebenfalls schlecht.«
Lea musste nun doch lächeln. »Ja, es ist ein Glück, dass man hier nicht ganz so glaubensstreng ist wie anderswo. Zumindest scheint es den Leuten nicht aufzufallen, dass wir nur an den heiligsten Feiertagen der Christen in die Kirche kommen und am Sabbat ruhen. Aber sag, was hast du mit Rachel und Elieser gemacht? Wie hat mein Bruder den Weg über die Berge geschafft?«
»Mit Hilfe seiner Frau. Sie hat ihn gestützt, ja beinahe getragen, und wollte sich dabei noch nicht einmal von den Knechten helfen lassen. So ein tapferes Weib hat Elieser meiner Meinung nach gar nicht verdient.« Orlando ließ sich von Gomer, die stumm mit einem Tablett hinter ihnen gewartet hatte, einen Schluck Wein reichen, um sich die Kehle anzufeuchten. »Ich, habe deine Verwandten zu Ruben ben Makkabi nach Augsburg gebracht, aber ich fürchte, ich habe mir keine Dankbarkeit bei ihm erworben. Kaum hatte Jiftach Rachel gesehen, da fragte er sie schon, ob sie ihn heiraten wolle – und ob du es glaubst oder nicht, sie ist ihm in die Arme gefallen.«
Leas Gesicht drückte allen Unglauben der Welt aus. »Rachel und Jiftach? Nein, das ist unmöglich!«
»Ich habe meinen Augen auch nicht getraut, aber es ist so. Sie ließen sich von Ruben ben Makkabi nicht einschüchtern, sondern bestanden darauf, ein Paar zu werden. Der Alte war so entsetzt, dass er sie beide aus dem Haus gewiesen hat.«
»Du hast sie doch nicht etwa auf der Straße stehen lassen?«
Orlando verdrehte die Augen. »Für was für ein Ungeheuer hältst du mich? Ich habe Jiftach und Rachel genug Geld gegeben, damit sie sich in Polen ansiedeln können, und sie sogar bei einem Handelszug untergebracht, der sie fast bis ans Ziel bringen wird. Elieser und Hannah wollen ihnen bei nächster Gelegenheit folgen und sich wie sie in Kosów ankaufen. Das ist weit genug weg von Rzeszów, wo euer Onkel Esra ben Nachum nun lebt. Die beiden Pärchen haben nämlich die Nase voll von Verwandten, die sie bevormunden wollen.«
Lea nickte nachdenklich und wünschte Elieser und Rachel im Stillen alles Gute. Sie merkte, dass sie sogar ein wenig traurig war, weil sie ihre Geschwister nie mehr wiedersehen würde, und gleichzeitig wurde ihr bewusst, wie glücklich sie mit Orlando geworden war und dass sie sich unbändig auf ihr Kind freute. »Ich danke dir, mein Schatz! Du bist der Beste aller Männer.«
»Das will ich auch hoffen«, rief er und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen.
9.
Ein kalter, stürmischer Herbst zog vom Meer die Elbe hoch, wälzte düstere graue Wolken über die Stadt und tauchte sie in einen feinen, nebelähnlichen Regen. Die Schiffe blieben nun im Hafen, und das bunte Völkergemisch der Matrosen suchte Wärme und Zuneigung in den Schenken und Hurenhäusern des Hafenviertels. Im Haus zum Fischkopf achtete man an diesem Tag jedoch weder auf das Wetter noch auf das, was in der Stadt vor sich ging. Don Manuel und Orlando saßen in der guten Stube und zuckten bei jedem Schrei zusammen, den Lea von sich gab.
»Mein Gott, ist das entsetzlich«, stöhnte Orlando schließlich auf. »Es hört sich an, als läge Lea im Sterben.«
»Das solltest du nicht einmal denken«, tadelte ihn sein Vater.
»Es ist nun einmal von Gott gewollt, dass Frauen unter Schmerzen gebären, da Eva die Hand nach dem Einzigen ausstreckte, das ihr und Adam im Paradies verboten war.«
Orlando fuhr zornig aus seinem Stuhl hoch. »Was ist das für ein Gott, der für einen einzigen Apfel die Frauen so bestraft?«
»Diese Lästerung will ich nicht gehört haben.« Don Manuel blickte ihn tadelnd an, dann aber wurde seine Miene weich, und er forderte seinen Sohn auf, sich wieder zu setzen. »Komm, nimm Platz und fasse Hoffnung. Lea ist eine Frau mit einem starken Willen. Sie lässt sich von den Schmerzen nicht besiegen und wird dir einen prächtigen Sohn schenken.«
»Es wird eine Tochter«, antwortete Orlando leise, aber mit einer gewissen Schärfe.
Sein Vater lachte leise in sich hinein. Orlando hatte sich so in die Vorstellung einer Tochter
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