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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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nie wieder die Möglichkeit, uns zu wehren. Dann wird uns nie wieder jemand glauben, dass wir es ernst meinen.« »Das ist keine Antwort auf meine Frage, Mutter.« Gracia wich ihrem Blick aus. »Wir dürfen jetzt nicht aufgeben. Wir sind so nah am Ziel! Wenn wir siegen, bekommen wir eigenes Land. Zum ersten Mal seit unserer Vertreibung! Tiberias! Wir kehren nach Palästina zurück! Ins Gelobte Land! Wir gründen einen eigenen Staat! Mit einer eigenen Regierung! Einen Zufluchtsort für alle Juden der Welt!«
    Reyna schüttelte ungläubig den Kopf. »Es ist immer dasselbe«, sagte sie. »Immer müssen alle nach deiner Pfeife tanzen. Egal, was passiert, und wenn du dafür über Leichen gehen musst. Genauso wie damals in Antwerpen.«
    »Antwerpen?«, fragte Gracia gereizt. »Wie kommst du jetzt auf Antwerpen?«
    »Als ob du das nicht selbst wüsstest«, erwiderte Reyna. »Nur weil du deinen Willen durchsetzen wolltest, musste Dom Diogo sterben, zusammen mit all den anderen ...Weil du dir etwas in den Kopf gesetzt hattest, weil du nicht nachgeben wolltest ...« »Du undankbares Stück!«, schrie Gracia. »Warum ist Diogo denn gestorben? Doch nur deinetwegen! Ganz allein deinetwegen!«
    Das Gesicht von Wut verzerrt, nahm sie eine Vase und warf sie gegen die Wand. Reyna war entsetzt. War diese Furie ihre Mutter? Plötzlich stieg eine Frage in ihr auf, die seit einer Ewigkeit in ihr drängte, und schneller, als sie denken konnte, sprach sie sie aus.
    »War Dom Diogo dein Geliebter?« Gracia erstarrte. »Was sagst du da?«
    »Ob Dom Diogo dein Geliebter war? Hast du mit ihm geschlafen? Brianda hat gesagt, dass du und Dom Diogo ...« Bevor sie den Satz beendet hatte, schlug ihre Mutter sie ins Gesicht.
    »Dann ist es also wahr ...« Reyna rieb ihre brennende Wange. »Ich hatte es nicht glauben wollen, all die Jahre lang, und mir eingeredet, dass Brianda gelogen hat. Aber jetzt ... O Gott!« Während Reynas Worte in der Stille verklangen, schauten Mutter und Tochter sich an, die Blicke ineinander verkrallt. Gracia war ganz bleich, ihr Mund nur noch ein zitternder Strich. Sie wollte etwas sagen, öffnete die Lippen. Doch statt zu reden, wandte sie sich ab.
    Sie trat an einen Schrank und holte aus einer Schublade einen zusammengefalteten Brief.
    »Für dich!«, sagte sie und warf ihn ihrer Tochter vor die Füße.
    »Damit du endlich deinen Frieden hast!«
    Reyna bückte sich und faltete den Bogen auseinander.
     
    Mein geliebter Engel, bitte warte auf mich, ich flehe Dich an! Ich werde Dir alles erklären ... Nur tu nichts, bevor ich wieder bei Dir bin ... Denk an unsere Kinder, denk an unser Haus ... Ich liebe Dich, mit jeder Faser meines Herzens ...
    José
     
    Reyna schloss die Augen. Ihre Wut, ihre Trauer, das Entsetzen über ihre Mutter - all das war verflogen. Nicht mal den Schmerz auf ihrer Wange spürte sie. Es gab nur noch Joses Worte. Mein geliebter Engel ... Ich liebe Dich, mit jeder Faser meines Herzens ... Sie sah sein Gesicht, hörte seine Stimme, fühlte seinen Atem auf ihrer Haut. Denk an unsere Kinder, denk an unser Haus ... Mein Gott, wie liebte sie diesen Mann! Noch nie hatte sie es so deutlich gespürt, noch nie so sicher gewusst wie in diesem Augenblick.
    Auf einmal zitterte sie so sehr, dass sie den Brief aus der Hand legen musste.
    »Also doch«, flüsterte sie. »Ich habe es gewusst.« Ganz langsam, als hätte sie Angst, aus ihrem Traum zu erwachen, schlug sie die Augen auf.
    Ihre Mutter stand vor ihr, kalt und gefasst und unnahbar wie eine Statue. Diese Selbstzucht war noch schlimmer als zuvor ihre Wut. Sofort spürte Reyna wieder den brennenden Schmerz in ihrem Gesicht.
    »Wie lange hast du den Brief schon?«, fragte sie. »José hat ihn aus Pesaro geschickt. Zusammen mit seinem Vorschlag, Ancona zu ächten.«
    Reyna nickte. Ja, sie erinnerte sich. Sie war auf dem Dachboden gewesen, bei dem einsam gurrenden Täuberich, um nach einer Botschaft zu schauen. Als sie in das Speisezimmer gekommen war, hatte die Köchin gerade das Essen aufgetragen, und ihre Mutter stand am Fenster, mit einem Brief in der Hand. José hat geschrieben ... Es waren zwei Bögen gewesen, doch als Reyna gefragt hatte, ob das zweite Blatt für sie sei, hatte ihre Mutter behauptet, es enthalte nur Erläuterungen zu Joses Vorschlag. »Es war meine Pflicht, dir den Brief vorzuenthalten«, sagte Gracia. »Es stand zu viel auf dem Spiel. Du hättest sonst alles verdorben. Tiberias, die Blockade ... Ich kann dir nicht vertrauen. Dein Verrat

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