Die Gottessucherin
dich ja geweigert, etwas für José zu tun. Ich wusste nicht mehr, was ich sonst machen sollte.«
Gracia ballte die Fäuste. »Wir haben ein Schiff verloren durch deine Schuld, mitsamt der Ladung. Dreißigtausend Dukaten! Weißt du, wie viele Menschenleben man mit so viel Geld retten kann?«
»Begreif doch, Mutter! Ich liebe José, und ich werde Omar niemals heiraten. Bitte, ich flehe dich an! Nimm Aragons Angebot endlich an, damit José freikommt.«
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Nein«, erklärte sie. »Das kann ich nicht.«
»Natürlich kannst du! Du bist die Senhora! Du weißt, dass du allein entscheidest, was passiert!«
»La Senhora, la Senhora«, schnaubte Gracia. »Ich kann das Wort nicht mehr hören! Jeder glaubt, ich könnte tun und lassen, was ich will. Aber das ist nicht wahr! Ich habe heute alles in die Waagschale geworfen, damit die Gemeinde die Fortsetzung der Blockade beschließt. Obwohl die meisten dagegen waren! Rabbi Soncino hat einen Kompromiss vorgeschlagen, nachdem er selbst schon für die Aufhebung gestimmt hatte. Ich kann jetzt unmöglich zurück. - Nein!«, schnitt sie Reyna das Wort ab, als diese etwas einwenden wollte. »Soll ich Hunderte unserer Glaubensbrüder sterben lassen, um deinen Verlobten zu retten? Wenn ich das tue, werden sie sagen, dass es mir nicht um das Wohl meines Volkes geht, sondern nur um das Wohl meiner Familie! Wie stehe ich dann da? Kein Mensch wird mir mehr vertrauen!« Sie machte auf dem Absatz kehrt und begann, durch die Eingangshalle ihres Palastes zu wandern.
»Immer hast du eine Ausrede«, sagte Reyna bitter. »Immer findest du irgendeinen Grund, warum du recht hast. Dabei hältst du dich noch nicht mal an deine eigenen Worte.« »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Wer ein Leben rettet, der rettet die ganze Welt ... Das hast du mir eingebleut, seit ich ein Kind bin.« »Das hat gar nichts damit zu tun!«
»Und ob das was damit zu tun hat! Oder ist Joses Leben weniger wert als das der anderen? Wildfremde Menschen - ja, die hast du gerettet, zu Hunderten und zu Tausenden, für die war dir kein Preis zu hoch. Aber José? Wenn ich mir vorstelle, dass er vielleicht gar nicht mehr ...« Sie brachte den Satz nicht über die Lippen. Allein die Vorstellung, was passiert sein könnte, machte sie wahnsinnig vor Angst. »Wenn ich wenigstens eine Nachricht von ihm hätte, einen Brief, irgendein Lebenszeichen.« Sie konnte nicht mehr weitersprechen. Zu stark waren ihre Gefühle - Ohnmacht und Trauer und Wut, alle zur gleichen Zeit. Gegen ihren Willen schössen ihr Tränen in die Augen. Sie wollte nicht weinen, wollte nicht, dass ihre Mutter ihre Schwäche sah. Doch sie konnte die Tränen nicht unterdrücken. Verzweifelt schlug sie die Hände vors Gesicht.
Eine Weile hörte sie nur ihr eigenes Schluchzen und die Schritte ihrer Mutter, die in der Halle auf und ab ging. Eine Hand berührte sie an der Schulter.
»Hör auf zu weinen.« Reyna nahm die Hände vom Gesicht. Ihre Mutter reichte ihr einen Brief. »Das hat Aragon mir gegeben. Als Beweis, dass José lebt.« »Ein Brief? Von Jose?«
Reyna riss ihrer Mutter das Pergament aus der Hand. Obwohl die Buchstaben vor ihren tränennassen Augen verschwammen, erkannte sie die Schrift. Es war, als würde sie José selbst sehen, irgendwo in weiter, weiter Ferne, auf der anderen Seite eines Flusses, hob er mit einem Lächeln den Arm, um ihr zuzuwinken. »Gott sei Dank«, flüsterte sie und küsste den Brief. »Wie du siehst, musst du dir keine Sorgen machen«, sagte ihre Mutter. »Aber hör auf, immer nur an ihn zu denken. Das ist er nicht wert. Er hat dich verraten! Mit einer Tänzerin! Er hat ihr ein Kind gemacht! Hast du das vergessen?«
Reyna hörte gar nicht, was sie sagte. »Warum hast du mir den Brief erst jetzt gegeben?«, fragte sie. »Du wusstest doch, dass ich vor Angst fast gestorben bin. Seit Monaten hatte ich keine Nachricht mehr von ihm.« Während sie sprach, kam ihr auf einmal ein Verdacht. »Oder ... oder hast du ... hast du etwa schon früher Nachricht von ihm bekommen?«
»Was soll die dumme Frage?«, erwiderte Gracia. »Glaubst du etwa, dass ich dir Post unterschlage?« Bevor Reyna antworten konnte, wechselte sie das Thema. »Bitte, versuch doch nur einmal, auch mich zu verstehen. Nachgeben hilft keinem weiter. Wir dürfen uns nicht erpressen lassen. Wir haben den Papst schon fast in die Knie gezwungen. Aber wenn wir jetzt einknicken, war alles vergebens. Jetzt und für alle Zeit! Dann haben wir
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