Die Gottessucherin
war ein Eiferer und genauso unbeugsam wie Gracia Mendes. Der Krieg der beiden würde zahllose Menschen in Mitleidenschaft ziehen, die nichts mit diesem Krieg zu tun hatten. Doch hätte Amatus darum gegen Gracia stimmen sollen? Zu einer solchen Entscheidung wäre er ebenso wenig fähig gewesen wie zu einer Entscheidung gegen seinen Verstand. Mit einem Seufzer blätterte er eine Seite in dem Buch zurück, um eine Passage zum zweiten Mal zu lesen, die er vorher nur mit den Augen erfasst hatte. War Gracia Mendes überhaupt noch dieselbe Frau, in die er sich vor einem halben Menschenleben verliebt hatte? Amatus Lusitanus wusste es nicht. Manch mal fühlte er sich wie ein Mann, der einer Frau die Treue hielt, die schon längst gestorben war. Es klopfte an der Tür.
»Herein.« Amatus schaute von seinem Folianten auf. »Reyna?« Überrascht verließ er das Pult, um Gracias Tochter zu begrüßen. »Was gibt es? Habt Ihr gute Nachrichten? Wie hat die Versammlung entschieden?«
»Meine Mutter hat ihren Willen bekommen«, erwiderte Reyna. »Die Blockade wird fortgesetzt.«
Amatus Lusitanus holte tief Luft. »Nein«, sagte er, »das ist keine gute Nachricht. Ich hatte gehofft, Eure Mutter würde sich besinnen.« Er bot Reyna einen Stuhl an, doch sie blieb stehen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass ihre Augen ganz rot waren. »Und was ist mit Dom Jose?«, fragte er.
»Ich brauche Eure Hilfe«, sagte sie. »Könnt Ihr mir Geld leihen?«
»Ihr braucht Geld? Von mir?« Amatus musste beinahe lachen.
»Eure Mutter ist eine der reichsten Frauen der Welt.«
»Ich hasse meine Mutter! Ich kann nicht mehr mit ihr unter einem Dach leben.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Ich habe sie verlassen und werde nach Italien fahren. Mit dem nächsten Schiff, das ausläuft.« »Um Himmels willen! Was ist denn vorgefallen?« »Ich habe meine Mutter angefleht, Dom José zu helfen. Aber sie weigert sich. Es war, als hätte ich mit einer Wand geredet. Tiberias, Tiberias - das war das Einzige, was sie gesagt hat.« »Und darum wollt Ihr nach Italien?« Amatus Lusitanus begriff. »Ich nehme an, dann ist Ancona Euer Ziel? Um Dom José zu suchen?« Reyna nickte.
»Aber wie stellt Ihr Euch das vor? Ihr könnt nicht dorthin reisen! Unmöglich! Ihr seid eine Frau! Das ist viel zu gefährlich!« »Ich hatte gehofft, Dona Brianda würde uns helfen. Ich hatte ihr einen Brief geschrieben. Um sie zu bitten, dass Tristan da Costa nach Ancona fährt und Dom José freikauft. Aber meine Tante hat den Brief nie bekommen. Sie ist an einem Fieber gestorben.« »Das ist ja entsetzlich!«, rief Amatus Lusitanus. »Ich kann Euch gar nicht sagen, wie leid mir das tut.« Er nahm Reynas Hand, um ihr sein Mitgefühl auszudrücken. »Trotzdem. Ihr könnt deshalb nicht einfach auf ein Schiff steigen und nach Italien ...« »Und ob ich das kann«, fiel Reyna ihm ins Wort. »Lieber sterbe ich mit meinem Verlobten, als länger im Haus meiner Mutter zu leben.«
»Ich verstehe Eure Gefühle«, sagte Amatus, »aber Ihr seid jetzt viel zu aufgeregt, um eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Deshalb bitte ich Euch nur um eines: Lauft nicht einfach davon! Ihr könnt die Nacht im Haus meiner Köchin verbringen. Ich mache mich gleich auf den Weg und rede mit Eurer Mutter. Ich bin sicher, dass wir eine Lösung finden.«
»Die Mühe könnt Ihr Euch sparen.« Reyna entzog ihm ihre Hand. »Ich habe alles versucht, aber sie hat das letzte Wort gesprochen. Ihr wisst, was das heißt - Ihr kennt sie genauso gut wie ich. Es gibt für sie kein Zurück mehr. Eher würde sie sich umbringen, als ihren Entschluss vor der Versammlung zu widerrufen.«
Amatus Lusitanus nickte. Ja, Reyna hatte recht. Wenn Gracia Mendes sich entschieden hatte, konnte nichts auf der Welt sie mehr von ihrer Entscheidung abbringen. Ratlos starrte er auf die Bücher an der Wand. Sie enthielten Rezepte gegen so viele Übel der Welt, gegen fast alle Arten von Krankheiten und Gebrechen, die die Menschheit kannte. Doch noch nie waren sie ihm so nutzlos erschienen wie in diesem Augenblick. Was sollte er tun? Wie konnte er Reyna helfen, ohne dass die einzige Frau, die er je geliebt hatte, ihn für einen Verräter hielt? Er gab sich einen Ruck und blickte Reyna in die Augen.
»Ich lasse nicht zu, dass Ihr Euch in solche Gefahr begebt«, erklärte er.
Reyna schluckte, ihr Gesicht war eine einzige Enttäuschung. »Ihr wollt mir also kein Geld leihen?«, fragte sie. Amatus Lusitanus schüttelte den Kopf. »Ich komme mit Euch
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