Die Gottessucherin
mit dem Delinquenten in die Richtung des Podiums. Endlich war es so weit, das Werk, für das Gott der Herr ihn in Fleisch gekleidet und auf Erden gesandt hatte, gelangte zu seinem allerletzten Akt! Mit einer Hand am Geländer, beugte er sich vor, um José Nasi das Schießpulver um den Hals zu hängen. Wusste dieser, welche Gnade ihm zuteil wurde? Ohne ihn anzuschauen, wandte der Jude den Kopf zur Seite, in die Richtung einer Frau, die Cornelius Scheppering seltsam vertraut vorkam, obwohl er sich nicht erinnern konnte, sie je gesehen zu haben. Dabei war das Gesicht des Ketzers von so schmerzensseliger Liebe erfüllt, dass Cornelius Schepperings altes Herz sich für einen Moment vor Mitgefühl zusammenzog. So musste der Heiland am Kreuz die Muttergottes angeschaut haben, bevor er sein Leben ausgehaucht hatte.
Da gellte ein Ruf über den Platz, der Cornelius Scheppering zusammenfahren ließ. »Halt!«
Ein Reiter in einer goldbehangenen Uniform, der einen schweißnassen Rappen durch die Menge trieb, näherte sich aus der Richtung der Kathedrale. Cornelius Scheppering erkannte ihn schon von weitem: Aragon. Während die Menschen kreischend auseinanderliefen, um nicht unter die Hufe des Tieres zu geraten, sprengte er auf das Podium zu, wie ein Reiter der Apokalypse.
»Order aus Rom!«, rief er. »Vom Papst! Lasst José Nasi frei!«
Immer größer wurde er auf seinem Rappen und bedeckte mit seinem schwarzen Tier das Sonnenlicht. Mit beiden Händen klammerte Cornelius Scheppering sich an das Geländer.
»Zu spät!«, rief er Aragon entgegen. »Die Hinrichtung hat schon begonnen!«
»Untersteht Euch! Der Sultan hat dem Heiligen Vater den Krieg erklärt, wenn José Nasi auch nur ein Haar gekrümmt wird!« Obwohl sein Pferd vor dem Feuer scheute und sich wiehernd aufbäumte, trieb der Spanier den Rappen noch dichter an den Scheiterhaufen heran, um sich zwischen den Verurteilten und die Flammen zu bringen. Ohne Warnung zog er sein Schwert und richtete die Klinge auf Cornelius Scheppering. »Im Namen Seiner Heiligkeit! Gebt diesen Mann frei!«
Cornelius Scheppering wich keinen Schritt zurück. »Niemand hat mir etwas zu befehlen! Weder Ihr noch der Papst! Gott allein ist mein Herr!«
Er spürte die Hitze des brennenden Scheiterhaufens, sah die lodernden Flammen. Plötzlich war ihm, als stiege aus dem Tanz der Feuerzungen die weiße Mitra des Papstes auf. »Vade retro, Satana!«
Mit höhnischer Fratze grinste Aragon ihn an. »Zum letzten Mal - gebt diesen Mann frei!« Cornelius Scheppering ließ sich nicht beirren. Beseelt von seinem Glaubensmut, stieß er mit bloßen Händen die Klinge beiseite und eilte die Treppe der Empore hinab.
»Im Namen des dreifaltigen Gottes«, befahl er den Kapuzenmännern. »Übergebt diesen Sünder den Flammen!« Die Henker rührten sich nicht.
Cornelius Scheppering wandte sich an die Soldaten, die vor dem Podium postiert waren, und wiederholte seinen Befehl. Doch auch die Soldaten zögerten, ihm zu gehorchen. Unsicher schauten sie zwischen Aragon und Cornelius Scheppering hin und her. »Alles hört auf mein Kommando!«, rief der Spanier. »Jeder bleibt an seinem Platz!« Noch während er sprach, sprang er von seinem Rappen und warf die Zügel einem Soldaten zu. »Ins Feuer mit dem Sünder!«, schrie Cornelius Scheppering. Er stürzte sich auf die Leiter, ungeachtet des Pulverbeutels in seiner Hand, um José Nasi eigenhändig in die Flammen zu werfen. Doch bevor er das Gerüst erreichte, traf ihn ein Schlag an der Schläfe. Während der Dominikaner gegen die Empore taumelte, nahm Aragon sein Schwert und zerteilte die Fesseln, mit denen der Verurteilte festgebunden war. »Verrat! Das ist Verrat!«
Mit letzter Kraft stieß Cornelius Scheppering die Worte hervor, doch er brachte nur ein Winseln zustande. Ohnmächtig mit den Zähnen knirschend, sah er, wie José Nasi, der Neffe und Gefolgsmann seiner Widersacherin, der Helfershelfer des Bösen, vor seinen Augen freigelassen wurde, befreit von Oberst Aragon, dem Befehlshaber der päpstlichen Truppen. Wer hatte dem Spanier diese Macht übertragen? Darauf konnte es nur eine Antwort geben: Gracia Mendes, die Buhle des Teufels! Gegrüßet seiest du, Maria, voll der Gnade ... Während Cornelius Scheppering die Worte flüsterte, die seine letzte Zuflucht waren, kam eine Frau aus der Menge gestürzt, direkt auf José Nasi zu, der sich mit Aragons Hilfe von seinen Fesseln löste. Dieselbe Frau, die mit dem Juden jenen schmerzensseligen Liebesblick
Weitere Kostenlose Bücher