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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Ausnahmezustand entscheidet! Die Ordnung war in Ancona wiederhergestellt, die Kräfte des Himmels hatten über Satan und die Mächte der Unterwelt gesiegt, so wie der Gottesfunke des Heiligen Geistes in Cornelius Scheppering selbst über das Gefängnis des Leibes triumphiert hatte. Nicht mal sein spanischer Widersacher Aragon, der immer noch beim Papst in Rom zu weilen schien, um gegen ihn und die Sache Gottes zu hetzen, hatte sich blicken lassen, um ihm die Hoheit in der Hafenstadt streitig zu machen. »Im Namen des dreifaltigen Gottes!«
    Der Dominikaner hob die Hand. Ein Trommler rührte sein Instrument, um für Ruhe zu sorgen. Während der Lärm auf dem Platz verstummte und alles gebannt zum Podium blickte, erhob Cornelius Scheppering sich mit Sylvesters Hilfe von seinem Stuhl, wie die Weihe und Würde des Augenblicks es verlangten. Hoch schlugen die Flammen des Feuers in den blauen Herbsthimmel, begierig, das Reinigungswerk zu beginnen. Mit einem stummen Stoßgebet dankte der Mönch seinem Gott. Für den Fall, dass ihm die heilige Mission misslungen und er daran gescheitert wäre, das Böse vom Antlitz der Welt zu tilgen, indem er Gracia Mendes vernichtete und ihr Reich für immer zerschlug, hatte er der Jungfrau geschworen, sich selbst zu richten und sich zu entleiben, auf dass Gott ihn nicht mehr begnadigen konnte. Lieber wollte er als Selbstmörder im ewigen Feuer der Hölle brennen, als zum himmlischen Vater einzugehen, ohne seinen Eid erfüllt und die Verfehlung seiner Jugend wiedergutgemacht zu haben. War dieser Kelch an ihm vorübergegangen? Blieb ihm die Verdammnis erspart? Cornelius Scheppering würde guten Mutes vor den Obersten Richter treten. Auch wenn er auf seinem langen, langen Weg hienieden gesündigt hatte, war das Tor zum Paradies ihm nach diesem Tag nicht länger verschlossen. Er hoffte nur, dass weder sein Augenlicht noch seine Zunge ihn im Stich lassen würden, wenn er das Urteil verkündete, mit dem er sich sein Anrecht auf das himmlische Gottesreich erwarb. »Bist du bereit, den Schuldspruch zu hören?«
    Obwohl sein Gesicht so weiß war wie eine Wand, erwiderte der Angeklagte trotzig den Blick seines Richters. »Was Ihr als Schuld bezeichnet, ist nur ein Stückchen Haut! Ist Euer Gott so armselig, dass es ihm darauf ankommt?« »Schweig still, verfluchter Jude«, herrschte Cornelius Scheppering ihn an, und nur mit Mühe bezähmte er sich, ihn nicht sogleich in die Flammen zu werfen. »Ich gebe dir ein letztes Mal Gelegenheit, deine Sünden zu bereuen und von deinem Götzen abzulassen, bevor es keine Umkehr mehr gibt. Willst du widerrufen und dich zum dreifaltigen Gott bekennen?« »Wozu - wenn Ihr mich doch verbrennen werdet?« »Um deine unsterbliche Seele vor der ewigen Verdammnis zu retten!«
    Statt einer Antwort spuckte der Jude ihm ins Gesicht. »Unseliger!«
    Cornelius Scheppering hob die Hand, um ihn zu züchtigen. Während seine Blicke sich in ihn bohrten wie zwei Schwerter, herrschte auf dem Platz eine solche Stille, dass er nur das leise Rasseln seines eigenen Atems hörte. Das ganze Glaubensvolk starrte auf das Podium, wo Gut und Böse einander gegenüberstanden. Mein ist die Rache, spricht der Herr ...
    Der Dominikaner ließ die Hand sinken. Nein, er war nicht der Herr, er war nur ein Knecht, der den Willen des Herrn zu erfüllen trachtete. Statt den Verurteilten für seinen neuerlichen Frevel zu strafen, wischte er sich den Speichel aus dem Gesicht und sagte mit bebender Stimme: »Noch einmal, José Nasi: Willst du widerrufen und dich zum dreifaltigen Gott bekennen? Dann sprich mir folgende Worte nach ...«
    Er machte eine Pause, um Atem zu schöpfen. Doch bevor er die Reueformel sagen konnte, hörte er die Stimme einer Frau, so laut und schrill, dass die gespannte Stille in der herbstlichen Himmelsbläue zerbarst wie eine kristallene Schale.
    »José!«
    Alle Köpfe flogen herum. Cornelius Scheppering beschattete mit der Hand die Stirn, um gegen die tiefstehende Sonne sehen zu können. Doch seine müden Augen vermochten nicht zu erkennen, wer den Namen des Delinquenten gerufen hatte. Die Soldaten vor dem Podium hoben drohend ihre Lanzen. Die Gläubigen auf der Piazza duckten sich und verstummten. »Zum letzten Mal: Willst du widerrufen und dich zum dreifaltigen Gott bekennen?«, wiederholte Cornelius Scheppering und richtete erneut den Blick auf José Nasi. »Dann sprich die folgenden Worte ...«
    Als er das Gesicht des Delinquenten sah, erstarben die Worte auf seinen

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