Die Gottessucherin
Mann hatte sie nicht mehr berührt, seit Diogo Mendes in Antwerpen ermordet worden war. Doch durch nichts konnte ein Mensch, der sich verunreinigt fühlte, sich besser reinigen und erneuern als durch die Rückkehr zum Ursprung, zu einer Quelle von lebendem, fließendem Wasser.
Hatte sie Gottes Willen entsprochen, als sie sich an den Sultan gewandt hatte, um seine Hilfe zu erbitten? Oder war sie mit diesem Bittgang an der großen, letzten Prüfung gescheitert, die Gott ihr auferlegt hatte?
Fröstelnd tauchte sie einen Fuß ins Wasser. Gänsehaut überkam sie, und die Spitzen ihrer Brüste verhärteten sich. Als würde sie in ein Grab hinabsteigen, so hatte sie sich gefühlt, als sie zum ersten Mal das Tauchbad genommen hatte, am Vorabend ihrer Hochzeit. Bei der Erinnerung spürte sie, wie ihre Hände klebten, als hafte ihnen ein unsichtbarer Makel an, und obwohl sie sich zu Hause wieder und wieder gewaschen hatte, bevor sie hierhergekommen war, fühlte sie sich schmutzig am ganzen Leib. Vorsichtig, um nicht auszurutschen, ging sie die Stufen hinunter, bis das schwarze Wasser ihre Hüfte umspülte. Damals, bei ihrem ersten Tauchbad, hatte alles begonnen. Sie hatte Rabbi Soncino und die Gemeindefrauen belogen und vor der Zeit das Bad genommen, weil sie Francisco Mendes, ihren Bräutigam, für einen Verräter gehalten hatte und Gott mit ihrer Sünde beweisen wollte, wie groß ihr Glaube war.
»Ich gieße reines Wasser über euch aus, dann werdet ihr rein«, flüsterte sie die Worte Ezechiels, während sie die Hände in das Becken tauchte und sich Arme und Körper benetzte. »Ich reinige euch von aller Unreinigkeit und von allen euren Götzen.« Gracia hatte die unterste Stufe der Treppe erreicht. Kalt und glatt fühlte sich der Boden unter ihren Fußsohlen an. Was hatte sie getan? Stets hatte sie den Willen des Königs und Herrn erfüllen wollen, damals wie heute - in der unverbrüchlichen Gewissheit, dass er sie leite. War das ihr Fehler gewesen? Die Vermessenheit zu glauben, dass Gott sie auserwählt hatte, ihr Volk in das Gelobte Land zu führen? Der Sieg war so nahe gewesen, die Erfüllung ihrer Mission: Tiberias - ein eigenes Land der Juden, der wahren Kinder Gottes, wo sie und ihre Glaubensbrüder leben konnten, wie der Prophet es einst geweissagt hatte. Doch mit ihrer Entscheidung, den Sultan um Hilfe zu bitten, damit Reyna und José lebten, hatte sie Tiberias verloren. Indem sie ihre Tochter zurückgewann, hatte sie ihre Mission verraten. Würde Gott, würde das Volk Israel ihr diese Schuld je verzeihen?
Zulauf und Ablauf der Grotte waren unter der schwarzen Oberfläche des Beckens verborgen, nur das leise Plätschern zeugte von der steten Bewegung des Wassers. Gracia ging in die Hocke, wie die Vorschrift es verlangte. Jahre und Jahrzehnte war sie sich Gottes Führung sicher gewesen. Jetzt hatte sie jede Sicherheit verloren. Sie wusste nicht mehr, was der Wille des Herrn und Königs war, noch kannte sie seinen Weg.
Was für eine Taube war sie? Eine weiße, eine schwarze oder eine grüne?
Sie schloss die Augen und holte Luft. Dann tauchte sie in das Becken ein, so tief, bis das Wasser alle Teile ihres Körpers umhüllte, ihre Brüste, ihre Schultern, ihren Hals sowie ihr Gesicht, und schließlich über ihrem Scheitel zusammenschlug.
Epilog
Sabbat
Tiberias, 1557
1
Der ganze Körper musste vollständig im Bad untergetaucht sein. Kein Stückchen Haut, nicht mal ein einziges Haar durfte aus dem Wasser ragen, in dem die Nidda sich reinwusch, von der Unreinheit ihres Blutes.
»Gelobt seiest du, Ewiger, König der Welt, der du uns geheiligt hast durch deine Gebote und uns befohlen, das Tauchbad zu nehmen.«
Wie Gott sie erschaffen hatte, tauchte Reyna aus dem dunklen Becken auf. Während sie noch im Wasser stand, legte sie beide Hände unter ihr Herz und richtete den Blick gegen die Gewölbedecke, um den Segensspruch zu sagen. Voller Bewunderung schaute Gracia sie an. Wie schön ihre Tochter war - wie Perlmutt schimmerte ihr nackter Leib im Fackelschein der Grotte. Es war Reynas erster Besuch der Mikwa, am Vorabend ihrer Hochzeit. Am nächsten Tag würde sie unter die Chuppa treten, um mit José den Bund der Ehe zu schließen. Hier, in der Synagoge von Tiberias.
»Jetzt bist du koscher.«
Gracia selbst hatte Reyna geholfen, sich auf die erste Vereinigung mit ihrem Bräutigam vorzubereiten, wie das Gesetz es verlangte. Jeden Abend hatte ihre Tochter sich vor Sonnenuntergang mit warmem Wasser gewaschen,
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