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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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getauscht hatte. »José!« »Reyna!«
    Vor dem brennenden Scheiterhaufen sah der Dominikaner ihr süßes Gesicht, ihre verklärte Gestalt. Im selben Moment begann er am ganzen Leib zu zittern, und seine Zähne schlugen aufeinander. Wurde ihm noch einmal jene Gnade zuteil, die ihn zum ersten Mal in seiner Jugend zuteilgeworden war, um ihn auf den Weg des Heils zu führen? Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen, und in einem überhellen Aufleuchten der Erkenntnis begriff er, woher das Gefühl der Vertrautheit rührte, das ihn beim Anblick dieser Frau ergriffen hatte, die Rührung, in der sich sein Herz vor Mitleid zusammenzog. Hatte die Jungfrau sein Flehen erhört? War sie gekommen, um ihn und sein Werk zu retten? Du bist gebenedeit unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus ...
    Ja, es war ihr Gesicht, das Gesicht der Jungfrau, der Muttergottes und Allerbarmerin, der Rose und Königin. Während ihre Gegenwart sich über ihn ausgoss und ihn überflutete wie das Himmelslicht der göttlichen Gnade, sank Cornelius Scheppering auf die Knie.
    Heilige Maria, Muttergottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes ...
    Mit gefalteten Händen hob er den Blick, um der Unbefleckten ins Angesicht zu schauen. Doch als er den Kopf zu ihr wandte, bot sich ihm ein Bild solchen Grauens, dass sich ihm die Haare im Nacken sträubten. Die Zunge verdorrte in seinem Mund, und seine Worte waren nur noch ein Stammeln, so widerwärtig, so abscheulich, so über alle Maßen ekelerregend war der Anblick. Die dornengekrönte und lobwürdige Jungfrau, die Mutter des guten Rates und der Barmherzigkeit, die Ursache aller Freuden und ewigen Herrlichkeit - sie versank im Kuss mit dem Juden. »Seid Ihr von Sinnen?«, rief Aragon und trat auf ihn zu. Cornelius Scheppering rührte sich nicht. Wie gelähmt starrte er auf das, was nicht in Worte zu fassen war, und auch als zwei Soldaten ihn ergriffen, um ihn vom Boden aufzuheben, ließ er es ohne Widerstand geschehen, als habe er keinen eigenen Willen mehr.
    »Bringt ihn fort!«
    Es war wie eine Erlösung. Folgsam wie ein Kind fügte Cornelius Scheppering sich den Soldaten, dankbar, dass sie ihn von seinen Qualen befreiten. War es endlich vorbei?
    Als er sich abwandte, hörte er ein Lachen, wie nur der Teufel lachen konnte. Obwohl er wusste, dass es ein Fehler war, dass der große Versucher ihn nur versuchen wollte, drehte er sich noch einmal um.
    In diesem Moment wünschte er sich, er wäre nie geboren worden, und verfluchte das Augenlicht, dass der Schöpfer ihm gegeben hatte. Denn dem Juden, der die Heilige Jungfrau und Muttergottes in seinen Armen hielt, wuchsen zwei Hörner aus dem Schädel, und unter seinem Büßergewand ragte ein schwarz behaarter Pferdefuß hervor, während seine Lippen mit denen der Allerbarmerin verschmolzen.
    Cornelius Scheppering schloss die Augen. Was war der Judaskuss gegen diesen Verrat? Himmel und Hölle hatten sich vereint, um ihn zu besiegen.
    »Misericordia!«, rief er und riss sich von seinen Häschern los. Das Kreuz mit beiden Händen an die Brust gepresst, zusammen mit dem Pulverbeutel, stolperte er zu dem Scheiterhaufen und warf sich in die Flammen.
    Ein Knall so laut wie ein Donnerschlag - dann war Cornelius Scheppering von aller Erdenpein erlöst.
     

39
     
    Leises Plätschern erfüllte das Gewölbe, als Gracia im Schein einer Fackel die steile, enge Wendeltreppe hinabstieg, die auf siebenundsiebzig steinernen Stufen vom Eingang der Mikwa hinunter zur Grotte führte. Sie hatte gewartet, bis sie allein war, um sich mit einem Tauchbad auf die Rückkehr ihrer Tochter vorzubereiten. Es konnte nur noch wenige Tage dauern, bis Reyna in Konstantinopel eintraf, zusammen mit José und Amatus Lusitanus. Ein griechischer Kaufmann, der mit José in Ragusa über eine Schiffsladung Weizen verhandelt hatte, war am Morgen im Kontor erschienen, um ihre Ankunft anzukündigen. Ihre Fahrt hatte sich nur deshalb verzögert, weil Amatus Lusitanus in Ragusa noch einen Handelsagenten der Firma Mendes von einem Fieber kurieren musste, bevor sie die Reise antreten konnten. Schwarz glänzte das Wasser im unruhigen Lichterschein, als Gracia die Grotte betrat. Im Halbrund einer Nische, die in das Gemäuer eingelassen war, legte sie ihre Kleider ab. Erst als sie vollkommen nackt war, trat sie an den Rand des Beckens. In dem dunklen Wasserloch spiegelte sich schimmernd ihr Leib. Schon vor vielen Jahren war ihre letzte Blutung versiegt, und einen

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