Die Gottessucherin
ihrer Schwester, die immer noch einige Mühe hatte, sich in der fremden Sprache zu verständigen, hatte sie in kürzester Zeit Flämisch gelernt. Willem hatte es ihr beigebracht, der dicke Hausbursche, der zum Frühstück immer nur Biersuppe aß und nun in seinen Holzpantinen mit hörbarem Schnaufen einen Ballen Samt hinter ihr hertrug.
Der Stoff war für Reyna bestimmt. Ihre Nichte war schon eine richtige kleine Frau, die nichts lieber tat, als sich herauszuputzen. Die Schneiderin sollte aus dem Samt ein Kleid für sie nähen, eines, wie Brianda es selbst gerne trug, mit einem Ausschnitt und Glöckchen an den Schultern, die beim Gehen leise klingelten. Sie freute sich schon jetzt darauf, Reyna damit zu überraschen.
Als sie nach Hause kam, stand Gracia am Fenster der Nähstube.
Sie sah aus, als hätte sie ungeduldig auf sie gewartet. Briandas Herz machte vor Freude einen Sprung. Gab es Post aus Lyon?
Doch ihre Schwester hatte eine ganz andere Nachricht für sie.
»Du musst Dom Diogo heiraten«, erklärte sie.
»Wie bitte?« Brianda wusste nicht, ob sie richtig gehört hatte.
»Willst du dich über mich lustig machen?«
Ihre Schwester schüttelte den Kopf. »Ich habe lange darüber nachgedacht. Es wäre für uns alle das Beste.«
»Aber ... aber wie stellst du dir das vor?«, fragte Brianda. »Ich liebe Tristan! Ich bin mit ihm verlobt!«
»Ihr wart damals nicht bei Verstand«, sagte Gracia. »Ihr hattet gerade ein Erdbeben überlebt. Da beschließt man leicht irgendwelche Dinge, die man später bereut.«
»Nicht bei Verstand?«, protestierte Brianda. »Noch nie im Leben bin ich mir einer Sache so sicher gewesen.« »Trotz der Mitgift?«, fragte Gracia. »Du könntest dir jedes Kleid kaufen, das dir gefällt. Außerdem wird Tristan in Lyon gebraucht. Das weißt du so gut wie ich. Der Seidenhandel ...« »Du kannst dein Geld für dich behalten«, rief Brianda. »Du bestimmst, was in der Firma passiert, zusammen mit Dom Diogo. Ein Wort von dir genügt, und Tristan kommt nach Antwerpen. Es sei denn, du willst nicht, dass er ...«
Brianda konnte nicht weitersprechen, sie musste sich setzen. Noch an diesem Morgen war sie am Groenplaats gewesen und hatte im Kontor der Thurn-und-Taxis-Post einen Brief an ihren Verlobten aufgegeben.
Seit zwei Jahren wartete sie darauf, ihn wiederzusehen, und bis Weihnachten, spätestens aber bis zum Pessachfest, so hatte Gracia versprochen, würde er nach Antwerpen kommen, damit sie endlich heiraten könnten. Jedes Mal, wenn Brianda daran dachte, dankte sie Gott für dieses Glück, das auf sie wartete. Und jetzt? Auf dem Tisch stand ein Brett mit Butterkuchen und glotzte sie mit dummen Fettaugen an.
»Warum willst du Dom Diogo nicht heiraten?«, fragte sie ihre Schwester. »Er will doch
dich
zur Frau, nicht mich.« Gracia schaute zum Fenster hinaus. »Ich muss mich um Reyna kümmern. Sie ist alles, was ich habe.«
»Das ist kein Grund«, erwiderte Brianda. »Um Reyna kannst du dich ebenso gut kümmern, wenn du verheiratet bist. Vielleicht sogar noch besser.«
»Außerdem kann ich seit ihrer Geburt keine Kinder mehr kriegen.«
»Woher willst du das wissen? Es gibt genug Frauen, die schwere Geburten hatten wie du und trotzdem noch Kinder bekommen haben.«
»Die Ärzte sagen, ich habe kaum noch Blut in den Adern. Die feuchte Kälte hier ist Gift für mich. Nein, ich tauge nicht mehr zur Ehefrau.«
»Und darum soll ich Dom Diogo heiraten, obwohl ich ihn nicht liebe? Wie kannst du das von mir verlangen?« Vor lauter Aufregung nahm Brianda ein Stück von dem Kuchen und biss hinein, als würde sie verhungern. »Ausgerechnet du! Und wie hast du mit Vater gestritten, als du Francisco heiraten solltest, gegen deinen Willen.«
»Damals war ich jung und hatte keine Ahnung vom Leben. Jetzt weiß ich es besser.«
»Hast du vergessen, was du mich im Badehaus gefragt hast? Ob ich nicht genauso handeln würde wie du, wenn man mich zwingen würde, einen Mann zu heiraten, den ich nicht liebe?« »Es geht nicht immer nur um Liebe«, erwiderte Gracia. »Im Gegenteil. Liebe macht oft alles nur noch schlimmer.« »Wenn es nicht um Liebe geht - worum geht es dann?« Brianda warf den Kuchen auf das Brett und sprang von ihrem Stuhl auf. »Worum es geht?«, wiederholte Gracia und drehte sich zu ihr um. »Das will ich dir sagen! Um Vernunft! Um unsere Familie! Um die Firma Mendes! Wenn wir nicht zusammenhalten, verfolgen sie uns hier bald genauso wie in Lissabon.«
»Unsinn! Wir sind hier so
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