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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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sagte sie dann. »Ich hatte gehofft, du würdest Vernunft annehmen. Doch du lässt mir keine Wahl. Ich muss dir die Wahrheit sagen.«
    »Welche Wahrheit?«, fragte Brianda, erschrocken über den ernsten Ton.
    »Tristan da Costa wird nicht nach Antwerpen kommen. Weder in diesem Jahr noch im nächsten. Aber nicht«, fügte sie hinzu, als Brianda etwas sagen wollte, »weil ich ihn dazu zwinge, sondern weil er es selbst so entschieden hat.« Sie zog einen Brief aus dem Ärmel ihres Kleids. »Er hat mir geschrieben. Er will eine Französin heiraten, die Tochter eines Raupenzüchters in Lyon, und er fragt Dom Diogo und mich, ob wir Einwände haben. Die Hochzeit soll so bald wie möglich stattfinden.«
    »Das ist eine Lüge!«, rief Brianda. »Eine ganz gemeine, widerliche Lüge!«
    »Nein, das ist es nicht.« Gracia reichte ihr den Brief. »Da - lies selbst.«
    Brianda starrte auf den Brief wie auf ein böses Tier. Nein, ihre Schwester hatte nicht gelogen, sie erkannte die Schrift auf dem Umschlag, die Handschrift ihres Geliebten. Auf einmal war es, als ströme alle Kraft aus ihr heraus. Und statt nach dem Brief zu greifen, schlug sie die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus.
    Gracia nahm sie in den Arm. »Ich weiß, wie dir zumute ist, aber glaub mir, irgendwann wirst du Gott dafür danken, dass alles so gekommen ist.«
    »Wie konnte er mir das antun«, stammelte Brianda, am ganzen Körper zitternd. »Wir hatten uns doch versprochen, für immer ...«
    »Pssst«, machte Gracia. »Hab nur Geduld, dann wird alles wieder gut. Du wirst sehen, Dom Diogo ist der beste Mann, den eine Frau sich wünschen kann.«
    »Aber ich will nicht Dom Diogo!«, schluchzte sie. »Ich will Tristan !«
    »Pssst«, machte Gracia noch einmal. »Ich wollte am Anfang auch nichts von Francisco wissen, aber später, nach der Hochzeit, habe ich begriffen, wie viel er mir bedeutet, mehr als mein eigenes Leben. Warum soll es dir nicht auch so gehen?«
     

5
     
    Wie einst Noahs Arche nach der Sintflut verlor sich die Gloria in der unendlichen Weite des Ozeans. Noch war kein Land in Sicht, doch nach zwei Tagen Regen, in denen Himmel und Meer in einem einzigen Grau in Grau miteinander zu verschmelzen schienen, war am Morgen die schwere Wolkendecke aufgerissen, und in den Fluten brachen sich nun glitzernd und funkelnd die ersten Sonnenstrahlen. Knatternd blähten sich die Segel im Wind, der stetig aus Südwesten blies. Mit dreihundert Flüchtlingen sowie fünfhundert Fass Madeirawein an Bord fuhr das Schiff, von den Kanaren kommend, auf die Azorenschwelle zu. Von dort aus würde es die Iberische Halbinsel nördlich umsegeln, bevor es, sofern die Winde weiter günstig stünden, in zwei oder drei Wochen den Ärmelkanal passieren und schließlich Kurs auf die Niederlande und die Hafenstadt Antwerpen nehmen würde, das vorläufige Ziel ihrer Reise.
    Gracias Plan war aufgegangen. Unbehelligt von den Soldaten des portugiesischen Königs, die einem Segler mit Ziel Madeira keinerlei Beachtung schenkten, waren die Flüchtlinge im Hafen von Lissabon an Bord der Gloria gelangt, in deren Bauch sie sich bis zum Auslaufen zwischen tausend Ballen Chinaseide hatten verstecken können. Nun, da die Kanaren hinter ihnen lagen, bewegten sie sich frei und ohne Furcht an Deck, wo sie am Morgen sogar damit begonnen hatten, aus Zweigen, Stroh und Sackleinen luftige Hütten aufzuschlagen, um das Laubhüttenfest zu feiern, das größte Freudenfest der Juden im Jahr. Sieben Tage wollten sie in diesen Hütten unter freiem Himmel wohnen, um zu feiern und zu beten, im Gedenken an den Auszug aus Ägypten, als der Herr sein Volk durch die Wüste in die Heimat geleitet hatte. Doch beim Bau der Hütten, die sie an die Vergänglichkeit jedweden Tuns erinnern sollten, gerieten sie immer wieder in Streit, allen voran ein Vorbeter aus Setübal und ein Gemeindeältester aus Porto, deren rechthaberisches Geschrei selbst das Knattern der Segel übertönte.
    »Wollt Ihr Euch versündigen? In der Hütte muss mehr Schatten sein als Sonnenlicht!«
    »Was kann ich dafür, wenn der Wind die Zweige wegweht?« »Die Hütte ist aber nicht koscher, wenn zu viel Sonne einfällt!« Nur ein Mann an Deck hielt sich abseits von den Streitereien: Samuel Usque, ein Student der Rechtswissenschaft aus Coimbra, dem die meisten Menschen an Bord ihre Rettung vor der Inquisition verdankten. Seit seiner eigenen Flucht vor zwei Jahren half er im Dienst der Firma Mendes anderen Juden, aus Portugal zu fliehen, in

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