Die Graefin Charny
nach der Meinung des Herrn Grafen übrigbleibt?«
»Zu sterben«, antwortete die Königin.
»Eure Majestät sehen, daß mein Vorschlag annehmbarer ist.«
»Welchen Vorschlag haben Sie gemacht?« fragte Charny.
»In der Nationalversammlung Schutz zu suchen«, antwortete Röderer.
»Das ist freilich nicht der Tod,« sagte Charny, »aber die Schmach!«
»Hören Sie wohl!« sagte die Königin.
»Sollte es nicht möglich sein, einen Mittelweg einzuschlagen?« erwiderte Röderer.
Weber trat vor:
»Könnte man nicht in die Nationalversammlung schicken und zum Schutze des Königs eine Deputation in das Schloß kommen lassen?«
»Gut,« sagte die Königin, »ich gebe meine Zustimmung ... Herr von Charny, wenn Sie diesen Vorschlag annehmbar finden, so teilen Sie ihn dem König mit.«
Charny verneigte sich und ging.
»Weber, folge dem Grafen und melde mir die Antwort des Königs.«
Weber kam zurück. »Der König nimmt den Vorschlag an,« sagte er, »und die Herren Champion und Dejoly begeben sich sogleich in die Nationalversammlung.
Da ... Das Schloß erbebte, als ob es in seiner Grundfeste erschüttert würde. – Die Königin schrie laut auf und wich einen Schritt zurück, jedoch die Neugier lockte sie wieder ans Fenster.
»Oh, sehen Sie!« rief sie mit sprühenden Augen. »Sehen Sie, die Meuterer fliehen ... Sie zerstreuen sich nach allen Richtungen ... und Sie sagten, wir hätten keine andere Zuflucht mehr als die Nationalversammlung! Sehen Sie doch, die Schweizer machen einen Ausfall und verfolgen sie ... Oh, der Karussellplatz ist frei ... Viktoria! Viktoria!«
»Ich beschwöre Eure Majestät,« sagte Röderer, »folgen Sie mir!«
Die Königin kam wieder zu sich und folgte dem Generalprokurator.
»Wo ist der König?« fragte Röderer den ersten Kammerdiener, der ihm begegnete.
»Der König ist in der Galerie des Louvre«, antwortete der Gefragte.
»Eben dahin wollte ich Eure Majestät führen«, sagte Röderer.
Marie Antoinette folgte ihrem Führer, ohne seine Absicht zu ahnen.
Der König stand mit dem Schweizeroberst Maillardoz und fünf bis sechs Edelleuten an einem Fenster ... Er hielt ein Fernglas in der Hand. – Die Königin näherte sich dem Fenster, um zu sehen, was vorging.
Die unabsehbare Reihe der Aufrührer rückte von der Seine her gegen die Tuilerien an. Auf allen Türmen von Paris heulten die Sturmglocken; auch die große Glocke von Notre-Dame brummte dazwischen. Die Sonne warf ihre glühenden Strahlen auf die Gewehrläufe und Lanzenspitzen. Es herrschte tiefe Stille, man hörte nur ein summendes Geräusch und das dumpfe Rasseln der Geschützräder.
»Was sagen Eure Majestät dazu?« fragte Röderer die Königin.
Hinter dem Könige hatten sich etwa fünfzig Personen versammelt. Marie Antoinette warf einen langen Blick auf die Umstehenden. Dieser Blick schien bis in die Tiefe der Herzen zu dringen und darin den letzten Rest treuer Ergebenheit zu suchen.
Da zog die Königin dem Schweizerhauptmann Maillardoz zwei Pistolen aus dem Gürtel.
»Sire,« sagte sie, »jetzt ist der Augenblick da, zu siegen oder mitten unter Ihren Freunden zu sterben.«
Diese mutigen Worte der Königin trieben die Begeisterung auf den höchsten Grad. Man erwartete in atemloser Spannung die Antwort des Königs.
Ludwig XVI. nahm die Pistolen und gab sie dem Obersten Maillardoz zurück. Dann wandte er sich zu dem Generalprokurator von Paris und fragte:
»Sie meinen, ich soll mich in die Nationalversammlung begeben?«
»Ja, Sire«.
»Kommen Sie, meine Herren,« sagte der König, »hier ist nichts mehr zu tun.«
Marie Antoinette seufzte, nahm den Dauphin auf den Arm und sagte zu der Prinzessin von Lamballe und Madame de Tourzelles:
»Kommen Sie, meine Damen ... der König will es ja so.«
Die Edelleute, die zurückblieben, sahen einander an, als ob sie sagen wollten: »Für diesen König sind wir also hierhergekommen, um den Tod zu suchen?«
Lachennaye verstand die stumme Frage. »Nein, meine Herren,« sagte er, »wir opfern uns für das Königtum. Der Mensch ist sterblich, das Prinzip unvergänglich!«
»Sire,« sagte der Schweizeroberst, der den König auf dem Wege durch den Garten zu beschützen hatte, »sind Eure Majestät bereit?«
»Ja«, sagte der König.
»Dann kommen Sie, Sire.«
Plötzlich hörte man ein lautes Getümmel. Das Tor, das unweit des Café de Flore in die Tuilerien führte, war gesprengt. Eine Volksmasse, die erfahren hatte, daß sich der König in die Nationalversammlung
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