Die Graefin Charny
füllte.
Die dichtgedrängte Menschenmasse der Pikenträger schwankte und wogte wie ein vom Winde bewegtes Kornfeld; dann sank sie nieder wie von der Sichel durchschnittene Halme. – Kaum ein Drittel war am Leben geblieben, es floh davon.
Die Fliehenden zerstreuten sich über den Karussellplatz; einige liefen der Seine zu, andere in die Straße St. Honoré; sie schrien Verrat und Mord.
Am Pont-Neuf begegneten sie dem Hauptkorps, das von zwei Männern zu Pferde und einem Mann angeführt wurde.
»Zu Hilfe!« riefen die Fliehenden, »man mordet unsere Brüder!«
»Wer?« fragte Santerre.
»Die Schweizer ... sie haben auf uns geschossen, während wir ihnen Bruderschaft anboten.«
Santerre wandte sich zu dem andern Reiter.
»Was sagen Sie dazu?«
»Was ich dazu sage?« erwiderte ein kleiner blonder Mann mit sehr bemerkbarem deutschem Akzent; »ich sage: der Soldat muß dahin gehen, wo er die Gewehre krachen und die Geschütze donnern hört.«
»Ich glaube, lieber Billot,« sagte Santerre zu dem Mann zu Fuß, »daß wir in einer so wichtigen Sache nicht nur den Mut, sondern auch die Erfahrung zu Hilfe rufen müssen.«
»Der Meinung bin ich auch.«
»Ich schlage daher vor, dem Bürger Westermann, der ein wirklicher General und ein Freund Dantons ist, den Oberbefehl zu übertragen; ich selber erbiete mich, ihm als gemeiner Soldat zu gehorchen.«
»Ich bin mit allem einverstanden,« sagte Billot, »vorausgesetzt, daß wir, ohne einen Augenblick zu verlieren, losmarschieren.«
»Nehmen Sie den Oberbefehl an, Westermann?«
»Ja, ich nehme ihn an«, war die lakonische Antwort des Preußen.
»Dann erteilen Sie Ihre Befehle.«
»Vorwärts, marsch!« rief Westermann.
Der Generalprokurator Röderer, der sich inzwischen wieder in das Schloß begeben hatte, folgte dem Kammerdiener Weber. – Die Königin saß am Kamin, den Rücken gegen das Fenster gekehrt. Als die Tür aufging, sah sie sich rasch um.
»Nun, wie steht's?« fragte sie; »Sie sind einer der ersten Stadtbeamten, Ihre Anwesenheit ist ein Schild für das Königtum; ich wünsche daher von Ihnen zu erfahren, was wir zu hoffen oder zu fürchten haben.«
»Eure Majestät, zu hoffen ist wenig, zu fürchten alles.«
»Das Volk rückt also wirklich gegen das Schloß an?«
»Die Vorhut steht schon auf dem Karussellplatz und verhandelt mit den Schweizern.«
»Ich habe den Schweizern Befehl gegeben, Gewalt durch Gewalt zu vertreiben! Sie sind doch nicht zum Ungehorsam geneigt?«»Nein, Madame, die Schweizer werden auf ihrem Posten sterben.«
»Und wir dagegen auf unserm Posten!« erwiderte Marie Antoinette; »ebenso wie die Schweizer im Dienste der Könige kämpfen müssen, sind die Könige die Verteidiger des Königtums.«
Röderer schwieg.
»Habe ich etwa das Unglück, mit Ihrer Ansicht nicht übereinzustimmen?« fragte die Königin.
»Nach meiner Meinung ist der König verloren, wenn er in den Tuilerien bleibt.«
»Wohin sollen wir uns denn wenden?« sagte die Königin, erschrocken aufstehend.
»In diesem Augenblick«, erwiderte Rüderer, »gibt es für die königliche Familie nur einen Zufluchtsort, die Nationalversammlung.«
»Wie sagen Sie?«.fragte die Königin, die nicht recht gehört zu haben glaubte.
»Die Nationalversammlung«, erwiderte Röderer.
»Und Sie glauben wirklich, daß ich diese Leute um etwas bitten würde?«
Röderer schwieg.
»Es gibt Feinde verschiedener Art,« setzte Marie Antoinette hinzu, »ich habe lieber mit denen zu tun, die mich offen und am hellen Tage angreifen, als mit denen, die mir heimlich zu schaden suchen.
»Wollen Eure Majestät den Bericht eines Sachkundigen anhören und die Streitkräfte, über die Sie zu verfügen haben, kennenlernen?«
»Weber, hole mir einen Offizier, Mailladoz, Lachennaye oder ...«
Sie wollte sagen: oder den Grafen von Charny, aber sie schwieg.
Weber entfernte sich.
»Eure Majestät würden selbst urteilen können, wenn Sie ans Fenster treten wollten.« Die Königin zog die Vorhänge zurück und sah den Karussellplatz, sogar den Königshof voll von Pikenträgern.
»Mein Gott!« rief sie, »sie sind ja bis in den Schloßhof gedrungen.«
In diesem Augenblick ging die Tür auf.
»Kommen Sie! kommen Sie!« rief die Königin, ohne zu wissen, wen sie anredete.
Charny trat ein. – »Hier bin ich, Madame«, sagte er.
»Ach, Sie sind's! ... Dann habe ich nichts zu fragen. Sie haben mir ja schon gesagt, was uns zu tun übrigbleibt.«
»Darf ich fragen,« sagte Röderer, »was Ihnen
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