Die Grauen Herrscher
durfte. Auch Kinnison wußte, daß ihm das Mädchen völlig ausgeliefert war, wenn er sich seiner Lens bediente – doch er durfte sein Instrument hier nicht benutzen. Die Gesetze des menschlichen Zusammenlebens verboten das. Trotzdem mußte er sich irgendwie darüber klarwerden, was diese Frau wußte.
»Was wissen Sie, Mac?« fragte er. »Und wie haben Sie es herausgefunden?« Der veränderte Tonfall seiner Stimme ließ das Mädchen aufhorchen, und ein kalter Schauder rann ihr über den Rücken.
»Ich weiß viel, Kim«, erwiderte Mac. Obwohl der Abend warm war, fröstelte sie. »Ich habe mein Wissen von Ihnen – aus Ihrem Bewußtsein. Als Sie nach mir riefen, vorhin auf dem Tanzparkett, empfing ich nicht nur einen einzigen, klaren Gedanken; im Gegensatz zu früher war es nicht so, als ob Sie einfach mit mir sprächen. Statt dessen kam es mir vor, als wäre ich abrupt in das absolute Zentrum Ihres Geistes vorgedrungen. Ich weiß, daß die Lens-Träger eine solche Verbindung als einen unbeschränkten Doppelkontakt bezeichnen – aber ich hatte keine Ahnung, was das in Wirklichkeit bedeutet. Niemand weiß das, der es nicht persönlich erlebt hat. Natürlich habe ich nicht den millionsten Teil dessen verstanden, was ich sah, was ich zu sehen schien. Es war einfach unmöglich. Ich habe mir niemals träumen lassen, daß ein sterblicher Mensch einen solchen Geist besitzen könnte, Kim. Gleichzeitig war es natürlich ein furchtbares Erlebnis für mich – ich bekam schon das große Zittern und wäre Sekunden später in Ohnmacht gefallen. Dabei haben Sie nichts davon gemerkt, das spürte ich! Ich wollte eigentlich gar nicht in Ihre Gedanken eindringen, aber ich konnte nicht anders. Jetzt freue ich mich, daß es so gekommen ist. Jetzt würde ich es um keinen Preis in der Welt mehr missen wollen«, sagte sie atemlos.
»Hmm. Das verändert die Lage natürlich.« Zur Überraschung des Mädchens war die Stimme des Mannes völlig ruhig. »Ich habe mich also durch einen unbeschränkten Doppelkontakt selbst verraten, ohne es zu merken ... Ich wußte, daß Sie im ersten Augenblick irgendwie seltsam reagierten, als ich den Kontakt aufnahm, aber ich dachte an ganz andere Gründe. Und ich habe Sie einmal als dumme Gans bezeichnet!«
»Zweimal sogar!« berichtigte sie ihn. »Aber beim zweitenmal war ich über diese Bezeichnung mehr als glücklich!«
»Und ich bin
doch
auf dem besten Wege, ein engstirniger Raumtramp zu werden!«
»O nein, Kim«, sagte sie leise. »Ich selbst habe Sie damals mit ähnlichen Worten belegt, die ebenfalls nicht zutreffen. Aber was machen wir, da ich nun einmal Ihr Geheimnis zu kennen scheine? Was machen
Sie?
«
»Vielleicht ... hmm ... da ich selbst Ihnen dieses Wissen vermittelt habe, ist es wohl am besten, wenn ich es Ihnen lasse.«
»Mir lassen?« rief sie. »Aber natürlich werden Sie es mir lassen! Es gehört zu meinen Erinnerungen – und niemand kann es mir fortnehmen!«
»O natürlich – natürlich«, erwiderte er geistesabwesend. Es gab noch viele Dinge, die Mac unbekannt waren und die sie zu ihrem eigenen Besten nicht zu wissen brauchte. »Sehen Sie, in meinem Geist scheint es noch viele unerforschte Winkel zu geben – Winkel, von deren Existenz ich selbst nichts weiß. Da ich Ihnen einen unbeschränkten Doppelkontakt geöffnet habe, muß es dafür einen Grund geben, obwohl mein Bewußtsein im Augenblick keine vernünftige Erklärung zusammenbekommt.« Kinnison dachte angestrengt nach und sagte schließlich: »Es muß irgendwie mit dem Unterbewußtsein zusammenhängen. Wahrscheinlich hat mein Unterbewußtsein die Notwendigkeit erkannt, meine Probleme mit jemandem zu besprechen, der einen völlig unvoreingenommenen Standpunkt hat – mit jemandem, dessen Vorstellungen mich vielleicht auf neue Wege führen. Haynes und ich sind uns zu ähnlich, als daß er sehr befruchtend auf mich wirken könnte.«
»Und Sie wollen mir das wirklich anvertrauen?« fragte das Mädchen leise.
»Natürlich«, erwiderte er ohne zu zögern. »Ich kenne Sie inzwischen gut genug, um zu wissen, daß Sie den Mund halten können.«
Auf diese unromantische Art und Weise also begann der Freie Lens-Träger Kimball Kinnison zu ahnen, daß er in dieser Krankenschwester einen Menschen gefunden hatte, an dem er niemals zweifeln würde.
Die beiden führten noch ein langes Gespräch. Sie plauderten nicht wie zwei Liebende, die sich gegenseitig ihre täglichen Sorgen berichten, sondern ihre Unterhaltung kreiste um Probleme
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