Die Grauen Herrscher
Schulter verwundet und gab auf. Kinnison war damit zufriedengestellt. Tage vergingen. Als Kinnison schließlich seinen letzten Kredit ausgegeben hatte, bewaffnete er sich mit den letzten beiden Flaschen, wankte auf die Straße hinaus und lud jeden Passanten zu einem Abschiedsdrink ein. Der Bürgersteig war bald zu schmal für ihn, so daß er schließlich grölend von einer Straßenseite zur anderen schwankte. Es war wie ein Wunder, daß er sich überhaupt auf den Beinen hielt.
Schließlich warf er die leeren Flaschen zur Seite und setzte seinen Weg singend fort. Er hatte keine besonders gute Stimme, doch was ihr an Musikalität fehlte, glich er durch Lautstärke wieder aus. Mit kraftvollem Baß, der zwei Kilometer gegen den Wind zu hören war, sang er sich ein Lied vom Herzen, das nicht für die Ohren derjenigen bestimmt war, die ihn als Kimball Kinnison von der Erde kannten; für die Einheimischen von ›Schürfers Ruh‹ war es jedenfalls eine humorvolle und spritzige Ballade.
Der Lens-Träger torkelte die Straße hinauf und machte dann eine Kehrtwendung, um – wie er es lallend nannte – bei seinem ›Lieblingswirt‹ zu ankern. Auch wenn ihm dieser abschließende Ausflug auf die Straße den Rest geben sollte – eine schlechte Idee war das nicht gewesen, überlegte Kinnison. Er hatte den wilden Bill Williams, den kauzigen Meteor-Schürfer von Aldebaran II, im großen Stil eingeführt. So schnell würde man ihn hier nicht wieder vergessen.
Er stolperte auf seinen Freund Strongheart zu, legte ihn die Arme auf die Schultern und ließ ihn seinen alkoholgeschwängerten Atem riechen.
»Ich bin geladen wie eine Haubitze!« verkündete er glücklich grinsend. »Wenn ich so voll bin, kann ich kaum noch reden aber ich möchte dir natürlich trotzdem klarmachen, daß ich gern noch einen trinken will ... Wie wär's, wenn du mir einen Hunderter borgst – auf die Ladung, die ich beim nächstenmal bringe! Vielleicht kann ich dir auch noch was von meinen Vorräten verkaufen, damit ...«
»Ich glaube, Sie haben genug, Bill«, erwiderte Strongheart bestimmt. »Sie haben Ihren Spaß gehabt. Wie wär's zum Abschluß mit einer schönen Runde ›Tiefschlaf‹, hm?«
»Ausgezeichneter Gedanke!« sagte der Schürfer begeistert. »Wo hast du's?«
Unauffällig näherte sich ein Fremder und nahm Kinnison am Ellenbogen. Strongheart stützte ihn auf der anderen Seite, und vorsichtig wurde Kinnison durch einen schmalen Korridor in eine winzige Zelle geführt. Und während er sich willenlos führen ließ, studierte er den Geist des Fremden. Jetzt war er endlich am Ziel!
Der Bursche hatte einen Gedankenschirm, der ihm jedoch so lästig fiel, daß er ihn jedesmal abnahm, wenn er nach Euphrosyne kam. Denn hier gab es keine Lens-Träger. Hier wurde jeder Fremde, einschließlich dieses betrunkenen Schürfers, sorgfältig überprüft, so daß kein Gegner lange unentdeckt bleiben konnte. Kinnison hatte vermutet, daß Strongheart einen Kontaktmann nach oben haben mußte, und sah diese Annahme jetzt bestätigt. Dieser Bursche wußte viel, und der Lens-Träger machte von diesem Wissen Gebrauch. In sechs Wochen also? Das paßte ja ausgezeichnet. Bis dahin blieb genug Zeit für eine weitere Schürfrunde und seinen zweiten Besuch in ›Schürfers Ruh‹. Dabei mußte er dann Augen und Ohren offenhalten ...
Sechs Wochen – das war eine lange Zeit. Aber so lange mußte er wohl durchhalten. Außerdem brauchten die Boskonier eine gewisse Zeit, um ihre ersten Ängste zu überwinden und manche unvorteilhafte Vorsichtsmaßregel wieder fallenzulassen. Zwar konnte Kinnison zuweilen außergewöhnlich ungeduldig sein, aber wenn es darauf ankam, hatte er sich in der Gewalt wie eine Katze, die stundenlang ein Mauseloch beobachtet und auf ihr Opfer wartet.
In der Zelle setzte er sich auf die Pritsche und nahm von dem Fremden das kleine weiße Paket entgegen, das er sofort aufriß. Er stopfte sich den Inhalt in den Mund, begann mit rollenden Augen und zuckenden Muskeln zu kauen und ließ sich den scharfen Saft nur so schnell durch die Kehle laufen, daß das seltsame Brummen in seinem Kopf anhielt. Dann ließ er sich auf seine Matratze fallen und war für die nächsten vierundzwanzig Stunden der Welt entrückt.
Als er erwachte, fühlte er sich ausgesprochen schwach. Sein Kopf schmerzte. Langsam tastete er sich in Stronghearts Büro, wo ihm die Schlüssel zu seinem Boot ausgehändigt wurden.
»Sie fühlen sich nicht gut«, stellte der Händler mit geübtem
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