Die Grenze
behalten.
Der Frauenpalast machte einen beträchtlichen Teil des riesigen Obstgartenpalastes aus, so wie dieser wiederum einen beträchtlichen Teil des Großen Xis, der Mutter aller Städte, ausmachte. Ja, der Frauenpalast war, gemessen an seiner Bewohnerschaft, sogar größer als andere Teile jenes uralten, riesigen Gewirrs von Gebäuden, das ursprünglich den Namen »Palast des blühenden Frühlingsobstgartens« getragen hatte, denn die, die in anderen Teilen der gewaltigen Palastanlage wohnten, konnten sich Gärten, Speiseräume und Küchen teilen, aber der Frauenpalast mußte isoliert und geschützt bleiben, weshalb jede dieser Einrichtungen innerhalb seiner Mauern noch einmal existieren mußte und nur von Frauen oder Begünstigten bewirtschaftet werden durfte.
Wenn der Frauenpalast eine kleine Stadt war, so waren die Begünstigten deren Priester- und Statthalterschaft. Im Gedenken an das berühmte Opfer des Habbili, Sohn des Nushash, war Xis immer schon ein Königreich gewesen, wo Kastraten in einem gewissen Ansehen standen — Kastration galt fast schon als ebenso sicherer Zugangsweg zu den Hallen der Macht wie das Priestertum. Und tatsächlich herrschten die Begünstigten nicht nur im Frauenpalast, sondern in vielen Verwaltungsbereichen des Obstgartenpalasts, so daß die tolldreisteren unter den Soldaten des Autarchen manchmal — natürlich nur unter sich — witzelten, richtige Männer seien fast überall im Palast unerwünscht, und willkommen wären sie nur an dem einen Ort, der ihnen absolut verboten war, im Frauenpalast. In Wirklichkeit sah es so aus, daß am gesamten Hof des Autarchen auch viele normale Männer einflußreiche Positionen innehatten, so wie Pinnimon Vash, der Oberste Minister. Die Begünstigten waren zwar eine der mächtigsten Gruppen unter den Bediensteten des Autarchen, aber sie waren keineswegs allmächtig. Sie mußten wie alle im Obstgartenpalast ständig darum kämpfen, daß ihnen der Gottkönig Sulepis, von dem alle Macht und aller Glanz ausgingen wie das Licht von der Sonne, auch nur ein Fünkchen Aufmerksamkeit schenkte. Doch im metaphorischen Dunkel des Frauenpalasts, diesem Reich der Frauen, wo Frauen keine formelle Macht hatten — wenn auch die wichtigeren unter den Ehefrauen des Autarchen durchaus eine Macht für sich darstellten — regierten die Begünstigten praktisch unangefochten.
Die Begünstigten im Frauenpalast betrachteten sich — vielleicht in einer Tradition, von der niemand mehr wußte (vielleicht aber auch aus anderen, weniger erhabenen Gründen) — als Frauen, gar nicht so anders als die, über die sie wachten, und sie machten sich die traditionellen Attribute der Weiblichkeit zu eigen, wenn auch in parodistisch übersteigerter Form: Sie waren fast alle überaus gefühlvoll, romantisch, rachsüchtig und launisch. Und natürlich hatten die Ehefrauen des Autarchen und ihre von Geburt an weiblichen Dienerinnen ebenfalls ihre komplizierten Netze der Einflußnahme und Intrige. Kurzum, in den Frauenpalast zu kommen, war, als beträte man eine Höhle aus einer alten Sage, wo überall Stolperstricke und Fanggruben lauerten, einen Ort voller kostbarer Schätze, der mit tödlichen Fallen bestückt war.
Ihre eigene Rolle an diesem Ort war für Qinnitan von Anfang an sehr verwirrend, und schon nach wenigen Tagen sehnte sie sich nach den Gewißheiten ihres alten Lebens zurück, nach ihrer klaren Stellung als eine der jüngsten und daher geringsten Schwestern vom Bienentempel. Die Ehefrauen und künftigen Ehefrauen — wobei es manchmal schwer zu sagen war, was diesen Statusunterschied überhaupt ausmachte, da der Autarch kaum je zu irgendeiner von ihnen kam — waren allesamt viel, viel höhergestellt als die Bediensteten im Frauenpalast. Dennoch mußte die hundertste Ehefrau — von der frisch erwählten Qinnitan, die wohl eher die Tausendste war, ganz zu schweigen — wochenlang warten, ehe ihr auch nur die kürzeste Unterredung mit Cusy zuteil wurde, der ungeheuer fetten Obersten Begünstigten des Frauenpalasts, die sie draußen im Obstgartenpalast manchmal lachend die Eunuchenkönigin nannten. Im Frauenpalast hingegen hätte es niemand gewagt, der alten Cusy ins Gesicht zu lachen. Von allen Bewohnerinnen des Frauenpalasts hätte nur Arimone, die Erste Ehefrau des Autarchen, Cusy ohne langes Überlegen die Stirn geboten. Arimone, auch Abendstern genannt, war eine schöne, kaltherzige junge Frau, eine Cousine des Autarchen und ursprünglich die Frau des letzten
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