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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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ist.«
    »Da ist auch noch Merolanna. Und die Laute Maus.«
    Briony zog eine Grimasse. »Es ist merkwürdig, jetzt wo du's ansprichst. Ich habe Tante Merolanna noch nie so außer sich erlebt — vielleicht wegen Kendricks Tod, aber seltsam ist es trotzdem. Vor der Beisetzung war sie so stark wie Stein, aber seither versinkt sie im Gram wie eine Wahnsinnige, kommt kaum noch aus ihren Gemächern. Ich war zweimal bei ihr, aber sie hat praktisch nicht mit mir geredet, als ob sie es nicht erwarten könnte, daß ich wieder gehe. Es scheint tatsächlich so, als wäre alles, was noch an Familie da ist, in Auflösung. Ach ja, da ist noch etwas Erstaunliches — da du sie gerade erwähnt hast, ich soll dir ausrichten, daß unsere Stiefmutter uns bittet, morgen abend mit ihr zu speisen.«
    »Was soll das denn?«
    »Ich weiß nicht. Aber laß uns offenen Herzens sein und davon ausgehen, daß sie ihren Stiefkindern näher sein möchte, jetzt, wo Kendrick tot ist.«
    Barricks Schnauben zeigte deutlich, wie er darüber dachte.
    »Noch etwas. Hast du Vaters Brief gesehen? Den, der Kendrick aus Hierosol überbracht wurde, am Tag vor ... bevor er ...«
    Barrick schüttelte den Kopf. Er schien ärgerlich — nein, es war noch mehr. Er wirkte fast schon ängstlich. Warum? »Nein, was steht denn drin?«
    »Das ist es ja — ich weiß nicht, wo er ist. Ich kann ihn nicht finden.«
    »Ich habe ihn nicht!« sagte er scharf, machte dann eine lahme Entschuldigungsgeste. »Tut mir leid — ich bin wohl wirklich müde. Ich weiß nichts davon.«
    »Aber es ist wichtig, daß wir ihn finden!« Sie sah ihn an, merkte, daß es keinen Sinn hatte, weiter zu drängen: Er war erschöpft. »Wie auch immer, Barrick, vergiß nicht, du
wirst
gebraucht. Ich brauche dich. Dringend. Und jetzt geh zu Bett. Ruh dich aus, und laß mich morgen tun, was getan werden muß. Ich erzähle dir dann alles, wenn wir zum Essen zu Anissa gehen.«
    Er sah sie an, blickte sich dann im Garten um. Die Sonne war hinterm Westflügel des Palastes versunken, und die Dächer verwandelten sich rasch in dunkle Silhouetten: Ein ganzes Heer von Traumkindern konnte sich jetzt dort verstecken.
    »Meinetwegen, dann bleibe ich eben morgen im Bett«, sagte er. »Aber länger nicht.«
    »Gut. Und jetzt bringe ich dich zurück.«
    »Verstehst du, ich schlafe nicht gern«, erklärte er, als sie den Weg entlanggingen. Ohne daß sie es richtig mitbekommen hatte, hatte er sie an der Hand gefaßt, so wie er es in ihrer Kinderzeit immer gemacht hatte. »Ich kann den Schlaf gar nicht leiden. Ich habe so schlimme Träume — daß unsere ganze Familie verflucht ist, verfolgt ...«
    »Aber das sind doch nur Träume, Barrick, lieber Barrick. Nichts weiter als Träume. Fieberträume.« Doch seine Worte machten sie frösteln, zumal jetzt der erste kalte Abendwind durch den Garten fegte und in den Blättern der Hecken und Ziersträucher raschelte.
    »Ich träume, daß das Dunkel über uns kommt wie ein Unwetter«, sagte er fast flüsternd. »Oh, Briony, in meinen Träumen sehe ich das Ende der Welt.«

15

Der Frauenpalast
    Des Bruders jungfräuliche Tochter:
Sie verschwindet, wenn wir alle auf sind,
Erscheint, wenn wir uns niederlegen.
Seht! Ihre Krone ist aus Gold und Heidekraut.

Das Knochenorakel
    Der Frauenpalast war, wie Qinnitan schnell herausfand, nicht einfach nur ein Gebäude oder eine Gruppe von Gebäuden, sondern etwas viel Größeres, eine ummauerte Stadt innerhalb des riesigen Autarchenpalastes, aus Sandstein gemauerte Häuser auf sorgsam genutztem Grund, die meisten mit Schreinen und Gärten in der Mitte und alle verbunden durch unzählige überdachte Gänge, des dringend benötigten Schattens wegen, so daß eine Bewohnerin des Frauenpalastes von einem Ende zum anderen wandern konnte, was etwa eine Stunde dauerte, ohne auch nur ein einziges Mal die sengende xandische Sonne unmittelbar auf der Haut zu spüren. Es war tatsächlich eine Stadt für sich, wo nicht nur die etlichen hundert Ehefrauen des Autarchen wohnten, sondern auch das Heer von Leuten, das nötig war, um sie zu versorgen, Haus-, Küchen-, Garten- und Verwaltungspersonal, Tausende von Menschen, und darunter kein einziger Mann.
    Kein einziger Mann im herkömmlichen Sinn natürlich, denn es gab innerhalb der hohen Mauern des Frauenpalasts durchaus Hunderte von Menschen, die zumindest mit den Grundmerkmalen der Männlichkeit zur Welt gekommen waren, es aber aus dem einen oder anderen Grund nicht geschafft hatten, sie zu

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