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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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älteren Bruders, den er aus dem Weg geräumt hatte. Da sie jedoch im Frauenpalast fast so selten in Erscheinung trat wie der Autarch selbst (sie hatte einen eigenen Palast, ganz am Ende des Palastkomplexes, so versteckt wie die innerste Kammer eines Nautilus, und nicht einmal die anderen hochrangigen Ehefrauen kamen ohne Einladung dort hinein), war da niemand, der die Autorität der Eunuchenkönigin in Frage gestellt hätte.
    Qinnitan hatte das unglaubliche Glück — oder zumindest stellte es sich so dar —, daß Luian, eine von Cusys Stellvertreterinnen, sie unter ihre Fittiche nahm. Luian, eine sehr mütterliche Begünstigte (jedenfalls von Statur und Verhalten her, denn besonders alt war sie noch nicht), zeigte ein überraschendes Interesse an der neuen Auserwählten und lud sie schon nach wenigen Tag zum Tee in ihre Gemächer ein.
    Den versprochenen Tee gab es, mit gepuderten Sania-Feigen und verschiedenen Sorten süßen Brots, in einem zeltförmigen Raum, der mit Sitzkissen übersät war. Begleitet wurde das Mahl von einem Schwall von Klatsch und Tratsch und anderen nützlichen Informationen über das Leben im Frauenpalast, aber erst am Ende erklärte Luian, weshalb ihr Augenmerk gerade auf Qinnitan gefallen war.
    »Du erkennst mich nicht wieder, was?« sagte sie, als Qinnitan sich hinabbeugte, um ihr zum Abschied die Hand zu küssen. Qinnitan war so fasziniert von Luians großen Händen — eins der wenigen Dinge, die noch ihre Vergangenheit als Mann verrieten —, daß sie die Frage nicht gleich verstand.
    »Wieder?« sagte Qinnitan, als ihr die Bedeutung klar wurde.
    »Ja, liebes Kind. Du glaubst doch nicht, ich verausgabe meine Zeit auf jedes kleine Ding, das durchs Tor des Frauenpalasts kommt?« Luian klopfte sich auf die Brust, als verursachte ihr der Gedanke Atemnot; ihr Schmuck klimperte. »Du meine Güte, wir haben diesen Monat schon zwei aus Krace gekriegt, das ist so gut wie der Mond. Ich war richtig schockiert, als ich hörte, daß sie dort sogar eine menschliche Sprache sprechen. Nein, meine Süße, ich habe dich hierhergebeten, weil wir im selben Viertel aufgewachsen sind.«
    »Hinter der Katzenaugenstraße?«
    »Ja, Kleines! Ich kannte dich schon, als du kaum laufen konntest, aber wie ich sehe, erinnerst du dich nicht mehr an mich.«
    Qinnitan schüttelte den Kopf. »Ich ... ich muß gestehen, ich erinnere mich nicht, Begünstigte Luian.«
    »Einfach nur Luian, Liebes, bitte. Aber damals war ich natürlich ganz anders. Plump und schwerfällig und auf der Priesterschule. Das wollte ich nämlich werden, ehe ich eine Begünstigte wurde, da habe ich dann die Lust verloren. Ich war sogar einmal bei deinem Vater, um ihn um Rat zu fragen. Ich bin immer die Gassen zwischen der Katzenaugenstraße und der Federumhangstraße auf- und abgegangen und habe die vierhundert Nushash-Gebete rezitiert oder es jedenfalls versucht.«
    Qinnitan ließ Luians Hand los und stand auf. »Oh! Dudon! Ihr seid Dudon! Jetzt erinnere ich mich an Euch!«
    Die Begünstigte wedelte träge mit den Fingern. »Sch-sch, dieser Name! Das ist Jahre her. Heute hasse ich diesen Namen — so ein unansehnliches, unglückliches Geschöpf. Jetzt bin ich viel schöner, findest du nicht?« Sie lächelte scheinbar selbstironisch, aber in ihrer Frage lag etwas anderes. Qinnitan betrachtete die Person vor sich — es war ein bißchen schwerer, Luian als Frau zu sehen, jetzt, da sie sich an Dudon erinnerte —, musterte diskret das breite Gesicht, die dicke Schminke, die großen Hände mit den vielen Ringen, und sagte: »Natürlich seid Ihr jetzt sehr schön.«
    »Natürlich.« Luian lachte erfreut. »Ja, und du hast deine erste Lektion gelernt.
Jede
im Frauenpalast ist schön, ob Ehefrau oder Begünstigte. Selbst wenn eine von uns dir ein Messer an die Kehle setzt und darauf besteht, daß du sagst, sie sehe heute nicht so gut aus, ein bißchen kränklich um die Augen vielleicht, nicht ganz so rosig wie sonst, dann wirst du nur sagen, du hast sie noch nie so schön gesehen.« Einen Moment lang wurden Luians kohlumrandete Augen hart und verschlagen. »Verstehst du?«
    »Aber ich habe es ehrlich gemeint.«
    »Und das ist die zweite Lektion — sag alles im Brustton der Aufrichtigkeit. Du liebe Güte, du bist wirklich ein cleveres Mädchen. Schade, daß ich nicht viel mit deiner Erziehung zu tun haben werde.«
    »Warum nicht, Luian?«
    »Weil der Goldene aus irgendeinem Grund befohlen hat, daß du von Panhyssirs Priestern unterwiesen werden sollst.

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