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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Glutwürmchen zu blasen, rackerte sich ab, bis er ganz rot im Gesicht war. Um sie herum hatte sich der Nebel ein wenig gelichtet, und über den hohen Baumkronen war jetzt Himmel zum Vorschein gekommen, ein Sternengesprenkel in tiefem, samtenem Dunkel. Vom Mond war nichts zu sehen.
    »Was meint Ihr, wie spät es ist?« fragte Saddler, als er sich wieder aufrichtete. Das Feuer brannte jetzt von allein, aber die Flammen waren klein und schwächlich und mit seltsamen Grün- und Blautönen durchsetzt. »Wir sind schon stundenlang hier, und es ist immer noch Abend.«
    »Nein, es ist ein wenig dunkler geworden.« Vansen hielt die Hände ans Feuer; es spendete nur wenig Wärme.
    »Ich kann das verflixte Tageslicht kaum erwarten.« Saddler kaute an einem Stück Dörrfleisch. »Ich kann's nicht erwarten.«
    »Es wird vielleicht nicht kommen.« Vansen lehnte sich seufzend zurück. Ein Wind, den er nicht spürte, ließ die Baumkronen über ihnen schwanken. Das Feuer, so schwach es auch war, schien eine Wunde in dieser nebligen, dämmrigen Lichtung. Er kam nicht gegen das Gefühl an, daß der Wald diese Verletzung heilen wollte, wieder darüberwachsen, die Flammen und die beiden Männer verschlucken, die Wunde mit einem Schorf aus Moos, Feuchtigkeit und stillem Dunkel überziehen wollte. »Ich glaube nicht, daß es hier je ganz hell wird.«
    »Über uns ist der Himmel«, sagte Saddler energisch, aber da war etwas Brüchiges in seiner Stimme. »Das heißt, daß die Sonne da sein wird, wenn es Tag ist, auch wenn wir sie nicht sehen. Daran kann aller Nebel der Welt nichts ändern.«
    Vansen sagte nichts dazu. Collum Saddler, dieser kampferprobte Soldat, der schon auf so vielen Feldzügen dem Tod begegnet war und selbst den Tod gebracht hatte — Collum Saddler fürchtete sich wie ein Kind. Als älterer Bruder wußte Vansen, daß man mit einem verängstigten Kind nicht über Kleinigkeiten diskutierte, ehe die Gefahr nicht vorbei war.
    Kleinigkeiten. Wie zum Beispiel, ob man die Sonne wiedersehen wird.
    »Ich übernehme heute nacht die erste Wache«, sagte er laut.
    »Wir dürfen nicht aufhören, die anderen zu rufen.« Saddler stand auf, ging an den Rand der Lichtung und legte die Hände wie einen Trichter an den Mund. »Haaalloo! Etkin! Westerbur! Haaalloo!«
    Bei dem Geräusch, das der Wald rasch erstickte, zuckte Ferras Vansen zusammen. Seine sämtlichen Instinkte befahlen ihm, sich still zu verhalten, sich nur langsam zu bewegen, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Wie eine Maus auf der Tischplatte,
dachte er mit bitterer Belustigung. »Ich glaube, die anderen haben sich jetzt auch im Lager niedergelassen«, sagte er. »Und wenn Rufen genügen würde, hätten sie uns schon vor Stunden gefunden.«
    Saddler kam zurück und setzte sich ans Feuer. »Sie werden uns finden. Sie suchen uns. Selbst Westerbur, auch wenn man's vielleicht nicht glauben sollte, Hauptmann. Die königliche Garde gibt nicht einfach auf, wenn zwei Mann fehlen.«
    Vansen nickte, dachte aber etwas ganz anderes. Er hatte den Verdacht, daß die übrigen Garden, der arme Raemon Beck und das verrückte Mädchen irgendwo genauso verloren und verängstigt herumsaßen wie er und Saddler. Er konnte nur hoffen, daß sie so schlau gewesen waren, an einem Fleck zu bleiben und nicht umherzuwandern. Allmählich begann er zu erahnen, was dem Mädchen widerfahren war und selbst dem Irren aus seinem Dorf, der von jenseits der Schattengrenze zurückgekehrt war.
    »Versucht zu schlafen, Collum. Ich übernehme die erste Wache.«
     
    Zuerst hielt er es einfach nur für die Fortsetzung der seltsamen Träume, die sein immer verzweifelteres Bemühen, wach zu bleiben, infiltriert hatten. Es war nicht wirklich nachtdunkel — er ahnte, daß es gar nicht richtig dunkel werden würde, weil die Nebelschwaden vom Licht des Mondes schimmerten, der jetzt doch über den Bäumen erschienen war, so rund und bleich wie das Schädeldach eines polierten Totenkopfes —, aber es war eindeutig die Zeit, da die Nacht am tiefsten war. Er hätte Saddler schon vor Stunden wecken sollen. Er war eingeschlafen, eine gefährliche Sache an einem so seltsamen Ort, das Lager unbewacht zu lassen. Oder schlief er immer noch? Es schien so, denn der Wind sang leise vor sich hin, ein wortloser Gesang, der lauter und leiser wurde.
    Etwas bewegte sich zwischen den Bäumen am Rand der Lichtung.
    Ferras Vansen stockte der Atem. Er tastete nach seinem Schwert und streckte den anderen Arm aus, um Collum Saddler zu

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