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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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wecken, aber sein Gefährte lag nicht mehr an der Stelle, wo er vor kurzem noch geschlafen hatte. Vansen hatte nur wenige Herzschläge Zeit, diesen Schock zu verdauen, dann wurde die Bewegung am Rand der Lichtung zu einer weißverhüllten, kapuzenvermummten Gestalt, so seltsam durchscheinend wie verdichteter Nebel. Es schien eine Frau zu sein, jedenfalls hatte es die Form einer Frau, und einen Moment lang erfüllte ihn die abwegige Hoffnung, das Mädchen Willow hätte sich schlafwandelnd vom Lager der Garden entfernt, Saddler hätte recht gehabt und der Rest des Trupps wäre irgendwo in der Nähe. Aber die Härchen, die sich in seinem Genick sträubten, entlarvten es als Selbstbetrug, noch ehe er erkannte, daß die Füße der Gestalt unter dem schwach schimmernden Gewand den Boden gar nicht berührten.
    »Sterblicher.«
Die Stimme war in seinem Kopf, hinter seinen Augen, nicht in seinen Ohren. Er konnte nicht sagen, ob sie alt oder jung, männlich oder weiblich war.
»Du gehörst nicht hierher.«
Er wollte etwas sagen, konnte aber nicht. Von dem Gesicht sah er kaum mehr als blasses Licht und schwache Schatten, so als wäre es hinter vielen Schleiern aus flimmerndem Gewebe verborgen. Wirklich sichtbar waren nur die Augen, schwarz und riesig und nicht im mindesten menschlich.
»Die alten Gesetze gelten nicht mehr«,
erklärte ihm die Geistererscheinung. Die Welt schien zu einem einzigen, dunklen Tunnel zusammengestürzt, mit diesem vage leuchtenden Gesicht am anderen Ende.
»Es gibt keine Rätsel mehr zu lösen. Es gibt keine Aufgaben mehr, durch deren Erfüllung Gunst zu erlangen wäre. Alles geht dem Ende entgegen. Die Schattenstimmen, die einst dagegen protestierten, schweigen im Hause des Volkes.«
    Die Gestalt kam näher. Vansen fühlte sein Herz hämmern, so heftig, als müßte es ihn in Stücke zersprengen, und doch konnte er willentlich keinen Muskel rühren. Eine durchscheinende Hand fuhr auf ihn zu, berührte sein Haar, schien beinah durch ihn hindurchzugehen; er fühlte sie auf seinen Wangen, kühl und prickelnd zugleich, wie Funken von einem Lagerfeuer, die auf feuchter Haut landeten.
    »Ich habe einst einen wie dich gekannt.«
Da war ein Ton in dieser Stimme, den er beinah zu erkennen glaubte, aber dann war die Emotion doch zu sonderbar, als daß er sie hätte erfassen können.
»Lang ist er bei mir geblieben, bis seine eigene Sonnenglut sich verbraucht hatte. Am Ende konnte er nicht mehr bleiben.«
Jetzt, da das Gesicht dicht über ihm war, schien es mit Mondlicht aufgeladen. Vansen wollte die Augen zumachen, konnte es aber nicht. Einen kurzen Moment lang glaubte er, sie klar zu sehen, wenn er auch nicht recht verstand, wen oder was er da sah — eine Schönheit wie eine Messerschneide, schwarze Augen, die irgendwie so voller Licht waren wie der Nachthimmel voller Sterne, ein unendlich trauriges Lächeln —, und doch fühlte es sich während dieses kurzen Moments auch so an, als ob eine kalte Hand sein Herz erfaßte und zusammendrückte, eine Entstellung, von der es sich nie wieder ganz erholen würde. Er fühlte sich wie im Griff des Todes ... aber der Tod war schön, so schön. Ferras Vansens Seele sprang diesen dunklen Augen entgegen, diesen Sternen ihres Blicks, so wie ein Lachs einen Bergbach emporklimmt, ohne sich darum zu scheren, ob am Ende der Tod wartet.
    »Zähle nicht auf den Sonnenball, Sterblicher.«
Er meinte, so etwas wie Mitleid in der Stimme zu hören, und war niedergeschmettert. Er wollte kein Mitleid — er wollte geliebt werden. Er wollte nichts als sterben, für die Liebe dieses Wesens aus Wasserdunst und Mondlicht.
»Hier wird der Sonnenball nicht zu dir kommen. Und den Schatten kannst du auch nicht trauen, daß sie dir etwas andres erzählen als Lügen. Halte dich lieber an das Moos auf den Bäumen. Die Bäume wurzeln in der Erde, und sie wissen immer, wo der Sonnenball ist, selbst in diesem Land, wo sein Bruder Alleinherrscher ist.«
    Und dann war sie weg, und die Lichtung war verlassen bis auf das leise Säuseln des Windes in den Blättern. Vansen setzte sich auf und schnappte nach Luft; sein Herz stotterte noch immer. War es ein Traum gewesen? Wenn ja, hatte sich wenigstens ein Teil als wirklich erwiesen — Saddler war verschwunden. Vansen sah sich um, zuerst benommen, dann mit wachsender Angst. Das Feuer war so gut wie erloschen, nur kleine Glutwürmchen wanden sich noch in dem Schwarz innerhalb des Steinrings.
    Hinter ihm knackte etwas, und er sprang auf, griff nach seinem

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